Body Neutrality reicht mir nicht
Body Neutrality soll die bloße Akzeptanz von Körpern widerspiegeln. Die reine Feststellung, dass mein Körper da ist, ohne damit verbundene Gefühle. Doch in einer Gesellschaft, die so achtlos mit ihren Mitgliedern umgeht, ist mit Body Neutrality einfach nicht genug.
Funktioniert Body Neutrality für einen nicht funktionieren Körper?
Body Neutrality als Gegenpol zur Body Positivity begegnet mir in letzter Zeit auf Instagram immer häufiger. Der Druck, seinen Körper schön finden zu müssen, den viele mit Body Positivity verbinden, scheint immer mehr Menschen Unbehagen zu bereiten. Weil ich eine Freundin davon bin, Dinge zu verstehen, die mir fremd sind, bin ich also losgezogen und habe mich mit dem Konzept von Body Neutrality beschäftigt.
In einem z.ett Artikel begegnete mir dann eine Interpretation von Körperneutralität, die mich nachdenken ließ. Autorin Milena Zwerenz schreibt dort:
Body Neutrality bricht unseren Körper auf das herunter, was er ist, unsere Hülle. Wir müssen sie nicht lieben, lediglich akzeptieren, dass wir in ihr stecken und wertschätzen, was sie für uns leistet und wozu sie uns befähigt.
Milena Zwerenz in Body Neutrality: Muss ich mich und meinen Körper wirklich abfeiern? auf z.ett
Der Gedanke dahinter leuchtet mir ein: Den Fokus wegnehmen von dem Körper und seiner Optik an sich. Auf die inneren Werte schauen und Aussehen als solches gar nicht mehr thematisieren. Doch gerade der zweite Teil des Zitats rumorte in mir: wertschätzen, was diese Hülle für uns leistet und wozu sie uns befähigt. Was aber mach ich denn, wenn mein Körper mich eben nicht befähigt?
Als chronisch kranke, schwerbehinderte Frau ist es für mich schwierig, einfach anzuerkennen, dass mein Körper DA ist, ohne damit irgendwelche Gefühle zu verbinden. Denn mein Körper fordert ständig ein, dass ich mich mit ihm beschäftige. Die Schilddrüse, die Haut, der Blutzuckerspiegel, die Fatigue – irgendwas schreit immer „Hier bin ich!“ und irgendwas davon sorgt immer für Frust. Weil es mich nicht befähigt, sondern behindert.
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Die Aufforderung, den Fokus von meinem Körper wegzuholen, stellt für mich, deren Körper gesundheitlich immer wieder Aufmerksamkeit einfordert, die Frage: Kann Body Neutrality für kranke, behinderte Körper überhaupt funktionieren? Behindert zu werden, geht unweigerlich mit Gefühlen einher – viel zu oft mit negativen Emotionen wie Frust, Trauer oder Angst. Wenn ich meinen Körper, der diese Emotionen ja unweigerlich auslöst, nun versuche, neutral zu betrachten, setze ich diesen Emotionen ja nicht viel entgegen.
Im Gegenteil: Die Aufforderung, meinen Körper neutral zu betrachten, nimmt der Auseinandersetzung mit Krankheit gegebenenfalls den Raum. Eine Krebserkrankung bringt eine ganze Flut an Emotionen mit – und viele davon sind unmittelbar mit unserem Körper verknüpft. Wenn wir unsere Haare verlieren, wenn wir mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert werden; gerade für kranke und behinderte Menschen kann sich der eigene Körper wie der größte Verräter anfühlen. Wo finden diese Emotionen in einer Perspektive wie Body Neutrality Raum?
Body Neutrality vs. Body Positivity: Der zweite Schritt vor dem ersten?
Mir ist klar, dass es bei Body Neutrality vor allem um die Looks geht – also um den Aspekt von Aussehen, Beauty Standards und die Bewertung von Körpern. Body Neutrality will den Raum eröffnen, Cellulite, Körperfett und Behinderung einfach als gegeben anzunehmen. Man nimmt diese Dinge an, ohne sie zu verdammen, sie aber eben auch nicht lieben zu müssen. So sehr ich diesen Ansatz willkommen heiße, glaube ich, dass er zu kurz greift. Weil er Body Positivity auf das bloße sich schön finden reduziert, aber nicht über die Beziehung zum eigenen Körper spricht.
Zu einer Freundin sagte ich einmal: Body Neutrality funktioniert für mich nicht, weil sie die Gewalt, die meinem Körper und mir angetan wurde, nicht wieder gutmachen kann. Ich brauche Body Positivity, um meine eigenen Wunden zu heilen, bevor ich überhaupt jemals an den Punkt kommen kann, dass ich meinen Körper emotionslos betrachten kann.
Mich selbst zu lieben und anzunehmen wurde mir nie beigebracht – mein Default Mode ist Ablehnung. Selbstzerstörung. Ich war immer zu groß, zu dick, zu weiblich. Mein Körper war der, der meine Altersgenoss*innen dazu verleitet hat, mir Gewalt anzutun – emotional wie psychisch. Es war mein Körper, den Männer als ungebetene Einladung verstanden haben, lange, bevor ich hätte wissen müssen, was Consent eigentlich ist. Mein Körper hat mich lange weder befähigt noch beschützt.
Gerade als ich dachte, mein Leben würde Aufwind bekommen, war es mein Körper, der mir mit dem Krebs knallhart vor Augen geführt hat, wie sterblich ich bin. Mehr als einmal während der Chemotherapie hat mein Körper nicht nur seine Funktion nicht erfüllt – er hat mir sogar richtiggehend den Dienst versagt.
Mobbing, Missbrauch, Krankheit – all das hat riesige Wunden in meine Seele gerissen. Wunden, die Schmerz, Ablehnung und Frust mitbringen. Diese Gefühle sind dabei vor allem mit meinem Körper verknüpft. Die Existenz meines Körpers einfach ohne Emotionen anzuerkennen, würde nicht einfach einen IST-Zustand bestätigen. Es würde ein Ungleichgewicht zementieren. Es wären Abwertung und Schmerz, die blieben, weil sie kein Gegengewicht fänden.
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Das ist Body Positivity für mich
Ich brauche also Body Positivity, um begangenes Unrecht am mir selbst wieder gut zu machen. Ich muss mich feiern (können), um all dem Spott, der Häme, der Gewalt ihre Macht über mich zu nehmen. Ich will diesen Körper lieben, um unter dem Druck nicht weiter zu zerbrechen.
Wenn ich von Body Positivity spreche, dann geht’s mir nicht nur darum, dass ich zu viel Fett auf den Rippen habe. Da geht es nicht um Cellulite oder Winkeärmchen, die ich umarmen will. Für mich ist Body Positivity ein rebellischer Akt. Der Akt, meinen so defekten, ungenügenden streikenden Körper genau so zu lieben wie er ist. Erst recht dann, wenn er mich nicht befähigt.
Body Neutrality kann das für mich nicht leisten, weil ich glaube, dass es gerade da, wo es besonders dunkel ist, immerhin ein bisschen Licht braucht. Unsere Körper lieben heißt nicht, unsere Dehnungsstreifen zu feiern. Den eigenen Körper zu lieben kann auch heißen, die Dehnungsstreifen doof zu finden und sich trotzdem zu feiern.
Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.