Weniger BS, mehr Mitgefühl – ein Guide für Insta-Kommentare

Ein kleiner Guide zu passenden und weniger passenden Kommentaren auf Instagram.

3 Insta-Kommentare, die es zu vermeiden gilt

*Disclaimer: Dieser Beitrag kann Spuren von Sarkasmus, Ironie und Zynismus enthalten. Etwaige Fluchwörter darf der*die Finder:in behalten. „Der Ton macht die Musik“ ist für die Lesedauer dieses Beitrags ausgesetzt.

Hast du dich immer schon einmal gefragt, warum Leute grundsätzlich angepisst auf deine Insta-Kommentare reagieren? Ist dir aufgefallen, dass generell viele Stories voll davon sind, dass unerbetener Rat eben gar nicht so teuer ist? Sowieso möchtest du doch eigentlich nur helfen?

Herzlichen Glückwunsch, dann bist du hier genau richtig: Hier kommt mein Guide für weniger Bullshit und mehr Mitgefühl in deinen Insta-Kommentaren! Was du hiernach auf jeden Fall weißt in drei catchy Bulletpoints:

  • Mach Krebspatient:innen keine Komplimente zu ihrer Glatze!
  • Wieso Influencerinnen und ihre goldene Milch nicht in Kommentarspalten über ableistische Gesundheitssysteme gehören.
  • Nur, weil Menschen ihr Leid klagen, wollen sie noch lange nicht deinen ungebetenen Ratschlag!

Lass stecken – mach keine Komplimente, nach denen du nicht gefragt wirst!

Wer mir länger folgt, kennt sie: Die Bilder von mir mit nahezu glattpolierter Glatze. Sie sind immer mal wieder Bestandteil meiner Stories auf Instagram, wenn sich ein bestimmter Meilenstein meiner Chemo im Jahr 2018 jährt. Auf den meisten Bildern lächle ich, auf vielen schau ich etwas verkrampft und immer, wenn ich sie teile, kann ich kaum fassen, dass die Frau auf diesen Bildern ich selbst sein soll.

Diese Bilder zu teilen ist für mich Bewältigung, weil diese ganze Krebs-Story für mich immer noch zu den eher abgespaltenen Teilen meines Lebens gehört. Sie mit der Öffentlichkeit zu teilen, hilft, den Krebs in meine persönliche Geschichtserzählung zu integrieren. Je öfter ich darüber rede, desto eher gehört es zu mir. Aber hell yeah, der Scheiß tut weh. Ich hab schon einmal darüber geschrieben: Meine Glatze ist die Zäsur in meinem Leben. Jedes Mal wieder zerreißen die Bilder meinerselbst ohne Haare mein Herz, weil fuck man, ich wäre fast gestorben.

Doch so zuverlässig, wie diese Bilder mich schmerzen, so automatisch kommen auch die gut gemeinten Nachrichten:

„Stand dir aber gut!“

„Du konntest es echt tragen, find ich!“

„Das hat deine Augen so schön betont.“

Ich weiß, ihr meint‘s nur gut. Aber: Tut ihr das wirklich? Oder kommen diese Komplimente schneller als ihr tatsächlich drüber nachgedacht habt, was es mit Krebspatient:innen macht, denen ihr diese Dinge sagt?

Meine Glatze war kein fucking Modestatement. Sie war kein Experiment, kein Selbstfindungstrip und auch nicht Britneys fucking Breakdown in 2007. Keine Haare gehabt zu haben war die ätzende Nebenwirkung eines Kampfes um Leben und Tod.

Mir zu sagen, dass ich in diesem Zustand, der mich vor allem schmerzte, verunsicherte, depressiv machte, fast gekillt hat, ja ACH so hübsch aussah, ist nicht gut gemeint. Es ist die Offenbarung dessen, wie schlecht du eigentlich mit Leid und Sterben umgehen kannst. Mir vermeintlich die Seele zu streicheln ist ein Mechanismus, der dir hilft, dich nicht mit mir und meiner Trauer auseinandersetzen zu müssen.

Nichts anderes sind diese Komplimente. Ein Ventil, weil euch das, was ihr seht, zu nahe geht. Je mehr die betroffene Person mit diesem Lebensabschnitt struggelt, desto unpassender ist dieser Bullshit. Sorry, but I’m not sorry.

Beziehung statt Komplimenten

Da ich ja gelernt hab, konstruktive Kritik ginge immer mit Lösungsvorschlägen einher, hier ein paar Ideen, was du machen kannst, wenn du tatsächlich mitfühlend auf solche Sachen reagieren möchtest:

  • Beschränke dich auf liebevolle Solidaritätsbekundungen. Schick ein Herz oder ein „Ich denk an dich“ oder Ähnliches.
  • Wenn du das Kompliment wirklich nicht für dich behalten kannst, dann schick dem Ganzen eine Frage voraus. „Wie geht es dir damit?“, „Wie fühlst du dich damit?“, „Ist es sehr schlimm für dich, diese Bilder anzusehen?“ – oder auch: Wenn du mir ein Kompliment machen willst, dann begib dich auch in Beziehung mit mir.
  • Überleg dir für einen kurzen Moment, wozu das Kompliment wirklich nützt. Was versprichst du dir davon? Gibt es vielleicht etwas Konstruktiveres als das?

Politische Bildung und feministische Arbeit kostet eine Menge Zeit – und manchmal ein bisschen Geld. 😉 Unterstütze doch meine Arbeit für nur 3 Euro entweder mit einem Kaffee über PayPal oder supporte mich auf Steady – ich werde dir ewig dankbar sein! Mit deiner Unterstützung kann ich Frauen* zur gesellschaftlichen Teilhabe ermutigen und damit ein bisschen die Welt verändern. Sei dabei!

Bist du Mediziner:in? Nein? Dann empfiehl kranken Menschen keine Influencer:innen!

Der Klassiker ist mir grad in den letzten 24 h passiert: Ich mache meine komplexen Voerkrankungen und ihre Auswirkungen zum Thema und spreche über die ableistische Grundhaltung in periodenpositiven Empowerment-Kreisen. Es dauerte keine Viertelstunde, da wurde mir das erste Mal eine Influencerin zum Thema Goldene Milch empfohlen.

Vorab: Ich verurteile wieder Naturheilkunde noch Ayurveda per se. Macht halt, wie ihr meint, wir geben bei simplen Erkältungen auch lieber Zwiebelsaft als Zeug aus der Apotheke.

Ich hab also kurz recherchiert. Die angepriesene Frau verfügte weder über eine medizinische Ausbildung noch über irgendeine andere, fachverwandte Kompetenz, die ihr Heilungsversprechen chronisch Kranken gegenüber irgendwie rechtfertigen würde. Außer einem offensichtlich ziemlich fetten Provisionsdeal mit einem Gewürzhandel konnte mir nichts erklären, warum alle so Stein und Bein auf sie schwören.

Fun Fact: Auch zahlreiche der sogenannten Zykluscoaches, die mir empfohlen wurden oder schrieben, haben KEINERLEI medizinische Grundbildung. Von einem Magister in Kommunikationswissenschaften über einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften bis hin zu „Ich bin selbst Mutter und kenne meinen Zyklus gut“ war alles dabei.

Hmm. Und nu? Lass sie doch machen, Celsy!

Ja, nein. Wisst ihr eigentlich, wie verdammt gefährlich es sein kann, mehrfach komplex vorerkrankten Menschen irgendwelche Scharlatanerie andrehen zu wollen? Bei meiner Kombination aus Insulinresistenz und Schilddrüsenerkrankung kann schon ein falscher Ernährungsplan zu krasser Unterzuckerung und daher rührender Ohnmacht führen. 

Doch nicht nur bei mir ist das ein Problem. Zahlreiche Kräuter und Gewürze stehen in Verdacht, teilweise miese Kreuzwirkungen mit bspw. Antidepressiva zu haben. Johanniskraut, das vielen wegen ihrer Ängste empfohlen wird, soll nach wie vor die Wirkung hormoneller Verhütungsmittel beeinträchtigen.

Kurzum: Eure gutgemeinten Empfehlungen können die Leben anderer Menschen nachhaltig beeinflussen. Wann zur Hölle haben wir denn eigentlich aufgehört, evidenzbasiert und vor allem nur dann Ratschläge zu erteilen, wenn wir WIRKLICH eine Ahnung haben?

Zu wissen, dass du während deines Eisprungs gut drauf bist und dass vor der Regel die Stimmung eher im Keller ist, macht dich noch lange nicht zur Zyklusexpertin, die Frauen beraten kann, die eine medizinisch diagnostizierte Grunderkrankung haben, Renate. Und allen Frauen auf den Kopf hin Mönchspfeffer zu empfehlen, egal ob sie schwanger werden oder bloß mal wieder Bock auf Sex haben wollen, ist nichts anderes als übergriffige Schlaumeierei. 

Wann es ok ist, chronisch kranken Menschen andere Accounts zu empfehlen, um ihnen gesundheitlich zu helfen:

  • Per se erstmal nie.
  • Wenn du es doch nicht lassen kannst: Empfiehl doch bitte nur Accounts von Mediziner:innen oder anderen, für diese Krankheit fachlich ausgebildete Menschen.
  • Frage vorher, ob die Person überhaupt weitere Information auf Instagram (!!1ELF!) zu ihrer Erkrankung sammeln will.

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Rat will nur die, die danach fragt

Womit wir zum dritten großen Learning dieses wütenden Artikels kommen: Rat will nur die, die danach fragt.

Nicht nur mir begegnet das immer wieder: Man schildert eine problematische Situation aus dem eigenen Alltag, weil man mit seinem Frust grad einfach nur mal irgendwo hin muss. Oder weil man sie teilen will, um anderen zu zeigen, dass sie mit dieser Situation nicht allein sind. Es wird nicht nach Rat gefragt. Vielmehr soll der Frust einfach mal eben raus und danach geht’s dann oft schon wieder.

Aber: Prompt trudeln die zahlreichen, gut gemeinten Nachrichten ein. Dutzende gut gemeinte Tipps, die alle von sich glauben, die perfekte Lösung für die beschriebene Situation zu haben. Soll ich euch ein Geheimnis verraten? Meist liegt ihr voll daneben.

  • Sagt Menschen, die Dick Pics melden oder über chronische Schmerzen klagen, einfach nicht, dass sie noch ein „unbearbeitetes Thema/Trauma“ hätten, verdammte Axt.
  • Nein, auch Bachblütentropfen werden die strukturelle Diskriminierung und damit einhergehende Überlastung von Frauen nicht lösen.
  • Schön, dass dir dein Yoga-Retreat dabei geholfen hat, deine Krise aufzulösen, Simone. Alleinerziehende Mütter können ihre Kinder aber schlecht so lange in den Schrank sperren.

Die Ratschläge, die so oft kommen, gehen einfach voll am Ziel vorbei. Weil sie die Rahmenbedingungen der Person vor dem Bildschirm völlig vernachlässigen.

Ich mein, Herrgottnocheins, ich bekomme sogar Nachrichten, in denen 1:1 steht: „Ich kenn jetzt deine Vorgeschichte nicht so, aber…“ – like: What the fuck!? Ich mein, meine eigenen Glaskugel ist grad in Reparatur, aber schön, dass immerhin offensichtlich du hellsehen kannst.

Wenn ihr nicht nach Rat gefragt werdet, dann gebt auch keinen. Und wenn ihr das Gefühl habt, ihr könntet wirklich helfen, dann fragt, ob Rat erwünscht ist. Ansonsten seid einfach mal solidarisch und im Zweifel hilft immer noch eins: Klappe halten und sich die guten Wünsche denken.

Nicht jede Wortmeldung ist eine Einladung

Man kann mich jetzt für ziemlich zynisch oder unfreundlich halten, aber damit kann ich leben. Was mir viel wichtiger ist: Dass Menschen da draußen verstehen, dass nicht jede Wortmeldung auch eine Einladung ist. 

Wenn ein Mensch sein*ihr Erleben schildert, ist das kein Freibrief dafür, deine eigene Meinung oder irgendwelche Ratschläge dazu loszuwerden. Dieses ewige „Wer sowas öffentlich postet, muss auch mit Reaktionen rechnen“ ist nämlich gequirlter Mist. Es ist einfach nicht wahr. Vielmehr ist es der total übergriffige Anspruch darauf, selbst die Weisheit gepachtet zu haben. Es ist das Äquivalent zu „Wenn sie solch einen kurzen Rock trägt…“ – nein. Einfach nein.

Zu glauben, die Schilderung einer Person würde danach verlangen, dass ausgerechnet DU ihr einen Rat erteilen oder deine Meinung aufdrücken müsstest, sagt eigentlich nur, dass du selbst ein Problem mit den Grenzen anderer Menschen hast. Und ein ziemlich großes Ego.

Ich wünsche mir, dass die Entrüstung über diesen wütenden Text am Ende Früchte trägt. Erst denken, dann tippen.

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Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.

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