Sonderurlaub für Corona-Eltern? Braucht doch keiner!

Die Regierung versprach Sonderurlaub für Eltern – gekommen ist dieser nicht. Stattdessen gibt es eine Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes, die Eltern von Kita-Kindern sogar benachteiligt. Das Tragische: Viele der Probleme, die Schulen und Kitas jetzt haben, hätten vor mehr als 20 Jahren behoben werden können. Den Preis dafür zahlen die Ärmsten unserer Gesellschaft.

Wenige Tage im zweiten Lockdown und die Nerven der Eltern bundesweit lagen blank. Kein Wunder – wir scheitern nicht erst seit Mitte Dezember mit dem Vereinbarkeits-Struggle. Schon der Lockdown Light im November hat uns einiges an Nerven gekostet, weil viele Dinge, die zur normalen Betreuungsstruktur gehörten – Sportvereine, Kindergruppen etc. – wegfiel. Im Frühjahr 2020 haben viele von uns über mehrere Monate ohne jegliche Betreuungsinstitutionen auskommen müssen. Wir würden uns darüber an sich niemals beklagen, denn die Maßnahmen finden unter den meisten Eltern großen Anklang. Wir wollten die zweite Welle nicht. Aber wir wollten eben auch nicht feststellen müssen, dass Politik auch nach neun Monaten Pandemie immer noch so unvorbereitet auf das ist, was viele kluge Köpfe seit Monaten vorhergesagt haben.

Sonderurlaub für Corona-Eltern: Versprochen – und nicht gehalten

Während die Erkenntnis, dass Carearbeit und Lohnarbeit zwei ganz eigene (Vollzeit-)Jobs sind, nun auch beim letzten Wochenend-Vater angekommen sein dürfte, tut sich Politik offensichtlich noch immer schwer damit. Neulich führte ich folgendes Gespräch auf Twitter:

Quelle: Saskia Esken und Celsy Dehnert auf Twitter.de

Schlussendlich wurde der Sonderurlaub, der uns für den zweiten Lockdown versprochen wurde, durch CDU und CSU gekippt. Vielmehr kam eine Ergänzung für den § 56 des Infektionsschutzgesetzes, die eine Entschädigung auch dann vorsieht, wenn die Präsenzpflicht an den Schulen ausgesetzt wird. Damit sollen auch verlängerte Ferien, Hybrid-Unterricht und Homeschooling abgebildet werden. Wer seine Kinder in diesen Situationen betreuen muss, kann eine Pandemie-bedingte Erstattung beantragen.

Ein Erfolg, mag man meinen, nur: Welcher Arbeitgeber hat denn nun wirklich Verständnis dafür, wenn seine Mitarbeiter:innen nun wieder für Wochen ausfallen, wenn doch die Einrichtungen eigentlich offen sind? Im knallharten Kapitalismus bedeutet diese Nicht-Regelung für die meisten Eltern: Die Kinder in die Betreuung schicken und arbeiten, komme was da wolle – auch wenn es Corona ist. Die Einrichtungen offen zu lassen und statt eines gesetzlichen Sonderurlaubs auf eine Erstattung nach Infektionsschutzgesetz abzustellen, bedeutet, ein strukturelles, gesundheits- und familienpolitisches Problem in die private Dimension abzuschieben.

Ohne Corona-Sonderurlaub zahlen Eltern drauf

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Die Erstattung nach Infektionsschutzgesetz statt eines Sonderurlaubs hat außerdem mehrere Schwächen:

Die Entschädigung nach Infektionsschutzgesetz beträgt knapp 67% des Nettoeinkommens. Eltern, die sich nun also dafür entscheiden, dem kapitalistischen Druck zu widerstehen und ihren Anteil an der Bekämpfung der Pandemie zu tun, werden also bestraft. Sie müssen auf ein Drittel ihres Gehalts verzichten. Diejenigen, die über den Jahreswechsel keinen Urlaub hatten, brauchten diese Entschädigung für knapp vier Wochen. Zumal – und hier wird es perfide – die Entschädigung nicht ausgezahlt wird, wenn reguläre Ferien anstehen. Wer also seinen regulären Urlaub im ersten Lockdown wohlmöglich aufgebraucht hat und sich nun im Dezember hätte auf die Großeltern oder das erweiterte Umfeld verlassen müssen, steht nun vor der Wahl, andere zu gefährden oder sich selbst das Gehalt zu kürzen.

Dies ist nicht nur bezeichnend für die Priorität, die die soziale Absicherung im Vergleich zur Rettung von Unternehmen hat (kaum eine), sondern besonders bitter, wenn man bedenkt, dass uns im Januar einer der teuersten Monate für viele Familien bevorsteht. Zum 1.1. werden Versicherungen für dringend benötigte Autos fällig, quartalsweise zahlbare Steuern fallen an, auch die meisten Energieversorger kommen im Januar mit der Jahresendabrechnung um die Ecke. Die Verzweiflung in manchen Familien, die nun mit spürbar weniger Geld auskommen müssen, kann ich mir kaum ausmalen. All das, weil die Christdemokrat:innen uns den Sonderurlaub verwehrt und uns auf eine nicht einmal komplett bewilligungsfähige Erstattung zurückgeworfen haben. Für die meisten Alleinerziehenden ist diese Erstattung auch schlicht realitätsfremd: Wer schon prekär beschäftigt wird, kann mit zwei Dritteln des schon mageren Gehalts kaum auskommen.

Homeoffice mit Kindern ist eine Lüge

Hinzu kommt die Krux: In der Auslegung dieses Infektionsschutzparagrafen gilt Homeoffice als adäquate Betreuungsmöglichkeit. Das bedeutet: Ist die Anwesenheit am Arbeitsplatz nicht dringend erforderlich, kann Homeoffice ein Ausschlussgrund für die Erstattung nach Infektionsschutzgesetz sein. In der Konsequenz heißt das, dass wir es gesetzlich Schwarz auf Weiß haben: Wir haben in der Lage zu sein, nicht nur unsere eigene Denkarbeit zu leisten, sondern auch unsere Kinder beim Distanzunterricht zu unterstützen bzw. unsere Kita-Kinder den Tag über zu betreuen. Es ist, als ob unsere Regierung aus den zahlreichen Appellen des Frühjahrs nichts, einfach gar nichts mitgenommen hat. Friss oder stirb. Entweder, du schaffst es, zwei bis drei völlig unvereinbare Jobs zu vereinbaren, oder du bist auf dich allein gestellt. Wir alle haben die Worte unserer Bundesfamilienminsterin aus dem Sommer in den Ohren: Homeoffice mit Kindern sei ihrer Auffassung nach sehr schwierig, aber machbar.

Von DistanzUNTERRICHT kann zudem vielerorts nicht einmal die Rede sein. Auch neun Monate nach dem ersten Lockdown fehlt die Infrastruktur. In meiner Elternbubble auf Social Media lese ich von Bergen an Arbeitsblättern, von selbstständig durchzuarbeitenden Wochenplänen und sogar davon, das den Lehrkräften VERBOTEN wird, digitalen Unterricht zu machen. Während uns in den letzten acht Wochen versichert wurde, dass die Bildung unserer Kinder solch ein hohes Gut sei, dass man Wechselschicht-Unterricht trotz rasant steigender Zahlen auf gar keinen Fall zulassen könne, scheint nun, mit dem tatsächlichen, zweiten Lockdown, das Selbststudium am Küchentisch völlig zu genügen. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich schallend darüber lachen.

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Kein Corona-Sonderurlaub mit Kita-Kindern

Nicht zuletzt ist der wahre Hohn, dass, wie der RND berichtet, die Erweiterung der Erstattungsbedingungen nach Infektionsschutzgesetz für Kita-Kinder gar nicht gilt. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte auf Nachfrage der Presse, dass Eltern von Kita-Kindern weiterhin nur dann eine Erstattung bekommen würden, wenn die Einrichtung behördlich geschlossen werde. Wer sich also mit dem Lockdown freiwillig dafür entscheidet, die Infektionsketten zu unterbrechen und seine Kitakinder zuhause behalten zu wollen, geht leer aus. Selbst, wenn der Arbeitgeber mitspielt – erstattet bekommen wir diesen Sonderurlaub nicht. Weder finanziell noch mit Urlaubsausgleich. Es scheint naheliegend, dass in den Bundesministerien das Credo „Mutti macht das schon!“ immer noch vorherrscht.

Bei all dem komme ich nicht umhin, fortwährend den Kopf darüber zu schütteln, dass all das vermeidbar gewesen wäre. Nicht vor acht Wochen, sechs oder neun Monaten. Sondern schon vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren.

Das Problem von heute hätte schon 1997 vermieden werden können

Schon als ich 1997 zur Schule kam, brodelte die Diskussion darüber, dass die Schulklassen zu groß seien. Wir bräuchten mehr Lehrkräfte, kleinere Klassen, größere Schulen. Auch Eltern und Pädagog:innen aus dem Kita-Bereich reden sich seit Jahren den Mund darüber fusselig, dass es mehr Personal braucht. Dass die Gruppen zu groß sind, dass eine wirklich qualitativ hochwertige Betreuung nur möglich ist, wenn man die Kita-Gruppen drastisch verkleinert, größere Räume plant, mehr Gruppen bereitstellt.

Der nicht so lustige Witz daran: Das, genau das, wären jetzt die Dinge, die uns in der Pandemie dabei helfen würden, Pädagog:innen und Kinder vor Infektionen zu schützen und uns Eltern zu entlasten. Hätten Politiker und Politikerinnen diesen Forderungen schon vor Jahren oder Jahrzehnten nachgegeben, hätten wir in Bildung und Soziales investiert statt in immer neue ökonomische Luftschlösser. Wir stünden jetzt besser da. In kleineren Gruppen ist das Infektionsgeschehen kontrollierbarer. Wir könnten Lehrkräfte und Erzieher:innen besser schützen. Könnten Kinder besser schützen. Könnten Eltern besser entlasten.

Den Preis zahlen die Ärmsten

Stattdessen stehen wir hier, exakt 9 Monate, nachdem zu Beginn der Pandemie die ersten Kitas und Schulen schlossen. Wir stehen hier und sehen die immer noch zu großen Gruppen von 25 bis 30 Kindern, die immer noch am Limit arbeitenden Fachkräften, dir immer noch verzweifelt strampelnden Eltern – und unsere Politik scheint aus allem, was wir ihnen zugerufen haben, nichts gelernt zu haben.

Die Familien zahlen den Preis, doch nicht alle denselben. Vor allem die Ärmsten unserer Gesellschaft werden jetzt zur Kasse gebeten. Mareice Kaiser brachte es in folgendem Tweet auf den Punkt:

Quelle: Mareice Kaiser (@mareicares) auf twitter.de

Wenn die Schulen schließen, werden arme Menschen noch ärmer. Bleiben Schulen und KiTas offen, werden arme Menschen krank. Willkommen in Deutschland 2021.

Politische Bildung und feministische Arbeit kostet Zeit und Geld. Als Selbstständige habe ich keinen Arbeitgeber, der die kostenlose Arbeit im Netz auffängt. Bitte unterstütze meine Arbeit für nur 3 Euro entweder mit einem Kaffee über PayPal oder supporte mich auf Steady Für nur 3, 6 oder 10 Euro kannst du monatlich dazu beitragen, dass meine Beiträge für alle kostenlos zugänglich sind. Meine ewige Dankbarkeit sicherst du dir auch! <3 Hilf mir, die Welt zu verändern!

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Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.

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