Politik zum Anfassen: Wie war das eigentlich mit der Tamponsteuer?

Dass Politik gar nichts Abstraktes, sondern etwas sehr Nahbares ist, erleben den Menstruierenden unter euch jeden Monat aufs Neue. Vielleicht ist euch aufgefallen, dass der Preis eurer Tampons im Januar spürbar gesunden ist. Wie das Zustande kam? Das war eine ganz besondere Art der Magie – gelebtes Engagement. Es waren nämlich zwei Hamburger Frauen, die sich dem Thema auf einem Barcamp 2018 angenommen haben – und damit die Welt veränderten. Trefft mit mir heute Nanna-Josephine Roloff und Yasemin Kotra!

„Es geht viel um Sympathie, Auftreten und das Einsammeln von Unterstützung.“

Liebe Nanna, liebe Yasemin, die Abschaffung der erhöhten Mehrwertsteuer auf Periodenprodukte ist nun bald genau 9 Monate alt. Wie fühlt es sich an, damit zu leben, dass euer Anliegen nun Realität geworden ist?

Unglaublich gut! Es ist sehr schön, die eigene Wirksamkeit zu sehen und festzustellen, dass man wirklich etwas bewegen kann. Ich meine wir haben einfach ein Gesetz geändert, wie cool ist das bitte?

Eine Chronologie eurer Kampagne und spannende Hintergrundinfos findet man ja nun beispielsweise in dem Porträt bei brand eins. Deshalb will ich gar nicht so sehr ins Detail gehen, sondern mehr zum Aspekt der politischen Teilhabe nachhaken.
Wie viel Erfahrung in politischer Arbeit hattet ihr im Vorfeld zu der Kampagne?

Wir sind beide Mitglied in der SPD und damit auch bei den Jusos. Wir hatten außerdem beide politische Inhalte in unserem Studium. Das bereitet einen allerdings nicht auf die Realität vor. Ein Grundverständnis politischer Prozesse haben wir aber mitgebracht. Das wiederum hat uns dabei geholfen bestimmte Mechanismen zu verstehen. Unsere Parteimitgliedschaft war auch hilfreich. Die Dynamik innerhalb einer Partei ist ähnlich wie die auf bundespolitischer Ebene. Es geht viel um Sympathie, Auftreten und das Einsammeln von Unterstützung.

Was waren eure größten Herausforderungen?

Das ganze Projekt an sich war eine riesige Herausforderung. Die größte Herausforderung war sicher die Ungewissheit, wann bzw. ob wir überhaupt etwas verändern können.

Für euch war es entscheidend, das Thema Besteuerung von Periodenprodukten aus der feministischen Nische hinaus in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Was würdet ihr anderen Frauen raten, die auf der Suche nach Mehrheiten für ihre Anliegen sind?

  • Sucht euch Verbündete!
  • Baut ein Netzwerk auf und pflegt eure Kontakte
  • Geht an die Öffentlichkeit: Pitcht euer Thema für Gastbeiträge, geht zu Veranstaltungen, bringt euch in die Debatte ein
  • Identifiziert die richtigen Ansprechpersonen und trägt immer wieder euer Anliegen vor
  • Seid dabei hartnäckig und nachdrücklich, aber nicht unangenehm aufdringlich
  • Habt eure Forderungen klar, macht euch Factsheets, legt euch einen Elevatorpitch zurecht
  • Nutzt bestimmte Tage und Ereignisse, um auf euch aufmerksam zu machen

Politische Bildung und feministische Arbeit kostet eine Menge Zeit – und manchmal ein bisschen Geld. 😉 Unterstütze doch meine Arbeit für nur 3 Euro entweder mit einem Kaffee über PayPal oder supporte mich auf Steady – ich werde dir ewig dankbar sein! Mit deiner Unterstützung kann ich Frauen* zur gesellschaftlichen Teilhabe ermutigen und damit ein bisschen die Welt verändern. Sei dabei!

„Wir haben uns immer innerhalb des Systems bewegt.“

Nun ist Menstruation ja nun als „Frauenthema“ verschrien. Ich selbst habe die schon Erfahrung gemacht, dass ich stellenweise doppelt so viel Überzeugungsarbeit wie meine männlichen Mitstreiter leisten musste, um ein Anliegen auf die Tagesordnung zu bringen. Hattet ihr das Gefühl, aufgrund von Geschlecht bzw. des Themas weniger ernst genommen worden zu sein?

Absolut! Wie viele Männer im Politikbetrieb interessieren sich schon für die Menstruation? Denn darauf wurden wir am Anfang immer reduziert: auf den körperlichen Aspekt unseres Anliegens. Dabei ging es ja um ein tiefgreifendes strukturelles Thema. Metin Hakverdi, Mitglied des Finanzausschusses, hat uns Ende 2018 sehr wertvolle Tipps gegeben, wie wir das Thema stattdessen angehen müssten: Wir sollten anfangen über die finanziellen Probleme zu sprechen, die diese Steuer für viele mit sich bringt und gleichzeitig vorrechnen, wie wenig es den Staat kosten würde, die Steuer um 12 Prozentpunkte zu senken. Dafür war auch der Austausch mit Stefan Bach vom DIW sehr hilfreich. Grundsätzlich war der Austausch mit Männern gut, um eine andere Perspektive einzunehmen und zu verstehen, an welchen Punkten wir ansetzen mussten, um Gehör zu finden.

Bei brand eins habe ich gelesen, ihr hättet die jeweiligen Bundestagsfraktionen ihrer politischen Ausrichtung entsprechend angesprochen. Meiner Erfahrung nach steckt in politischer Arbeit auch viel Kompromiss. Man muss den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, um etwas zu erreichen. Gab es für euch gewisse Kernpunkte oder Grenzen, die in der Lobbyarbeit mit den Fraktionen unverrückbar waren? Oder ergaben sich da keine Schwierigkeiten?

Unsere Forderung war von Anfang an klar und davon sind wir nie auch nur einen Zentimeter abgewichen. Wir wurden von vielen Menschen gefragt, warum wir nicht gleich die grundlegende Steuer auf Menstruationsprodukte abschaffen wollen. Das ist eine Forderung, die, so wie unser System momentan ist, nicht umsetzbar gewesen wäre.

Wir haben uns immer innerhalb des Systems bewegt. Deshalb gab es von menschlicher Seite keine Schwierigkeiten. Trotzdem ist es wichtig, auf jede Person individuell einzugehen. Ich kann nicht zu der CDU gehen und direkt sagen: Hey, Feminismus, so wichtig. Das kommt erst im – metaphorisch gesprochen – zweiten oder dritten Satz. Erstmal muss man, so abgedroschen es klingt, die Leute da abholen wo sie stehen.

Nanna-Josephine Roloff und Yasemin Kotra.

„Demut ist fehl am Platz.“

Apropos Lobbyarbeit: Lobby im politischen Kontext ist mittlerweile sehr negativ konnotiert. Aber nichts anderes war ja das, was ihr gemacht habt. Wie sahen eure Termine mit den Abgeordneten klassischerweise so aus?

Der durchschnittliche Termin direkt bei Abgeordneten dauert etwa eine halbe Stunde. Man kommt schnell auf den Punkt und spricht schnell über die Hürden, die einer Umsetzung im Weg stehen. Dann gab es Termine, die deutlich länger gingen, weil die Personen uns sehr gewogen waren. Und dann gab es natürlich auch das klassische Mittagessen mit Mitarbeiter:innen. So ein Treffen dauert dann so lange wie das Essen eben dauert und kann ein erster Fuß in der Tür sein. Wichtig ist es, immer gut vorbereitet zu sein und auch eine und eine Mail/WhatsApp im Nachgang bietet sich an. Wir sind mit der Devise an die Sache herangegangen, dass uns auch nur Menschen gegenüber sitzen. Die kochen mit dem gleichen Wasser wie wir, sind nicht mehr und auch nicht weniger Wert. Höflichkeit und Respekt sind absolut essentiell, Demut ist fehl am Platz.

Nanna, im Podcast „Heul nicht, mach doch“ sagst du, Politik ist alles um uns herum. Eigentlich ist Politik damit ja relativ lebensnah. Was glaubt ihr, warum der Verdruss oder das Hemmnis bei vielen, sich zu engagieren, trotzdem so hoch ist?

Du engagierst dich bei den Jusos, du weißt wie das ist: Da wird jeder einzelne Pflasterstein bis ins Detail besprochen, es werden viele Kompromisse ausgehandelt und so richtig glücklich geht da am Ende niemand raus. Dann gibt es die Karriere-Menschen, die kennen wir auch alle. Die finden immer alles super, arbeiten super intransparent, sind aber super vernetzt. Leider kommen solche Personen gerne in Führung und vergiften mit ihrer Haltung und Arbeitsweise alles um sie herum. Dann bekommst du als Frau, zumindest meine Erfahrung, direkt irgendeinen Posten und fünfhundert Aufgaben hingelegt. Das finde ich schwierig, weil es die Person überfordern kann. Mich hat es überfordert und gepaart mit einem Vorsitzenden der zuerst genannten Sorte, habe ich mich zurückgezogen. Das mal so auf der Partei-Ebene.

Und dann haben wir diese gesellschaftliche Erzählung davon, dass man sich auskennen müsse, um irgendwo mitspielen zu können. Das ist falsch, aber viele hält genau das davon ab aktiv zu werden.

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„Es ist häufig ein Mangel an Ressourcen“

Dann ist Zeit natürlich ein Faktor. Ganz ehrlich: Bei 40 Wochenarbeitsstunden ist halt am Ende des Tages und am Ende der Arbeitswoche auch einfach die Luft raus. Ich kann mir meinen Aktivismus am Ende unter anderem auch nur leisten, weil ich einen Bürojob habe, der mich körperlich jetzt nicht unbedingt beansprucht. Wenn wir eine 4-Tage-Woche hätten, würde das meiner Meinung nach anders aussehen.

Womit wir beim nächsten Punkt sind: Unser System ist so ausgerichtet, dass, pauschal gesagt, die Masse mit dem Minimum abgesichert ist und die Not vermeintlich nicht groß genug ist, als dass ein Aktivwerden in Betracht gezogen wird. Hinzu kommt eine zunehmende Vereinzelung und Individualisierung auf allen Ebenen. Das gepaart mit den vorherigen Aspekten ist eine gefährliche Mischung, die meines Erachtens zur Inaktivität beiträgt. Es ist also meist nicht einmal eine bewusste Entscheidung, sondern häufig auch ein Mangel an Ressourcen. And oh don’t get me started on our bright german Bildungssystem.

„Representation matters.“

Welche Tipps für den Einstieg in politisches Engagement gebt ihr jungen Leuten?

Einfach machen. Sich bloß nicht erzählen lassen, man sein zu jung oder zu unerfahren oder zu was auch immer. Und: Hört nur auf Ratschläge von Menschen, zu denen ihr selbst gehen würdet um euch beraten zu lassen. Alle anderen „Kritiken“ sollte man einfach liegen lassen.

Habt ihr nun ein neues Projekt in der Pipeline? Worum geht’s?

Aus dem Menstruationsaktivismus haben wir uns erstmal verabschiedet, was nicht heißt, dass wir die Sache nicht unterstützen und weiterhin auch verteidigen. Unser Blick galt aber immer schon dem großen Ganzen.

Mit meinem neuen Projekt „Comms for Equality“ möchte ich (Nanna) eine Sensibilisierung der Kommunikationsbranche erreichen. Inklusive Sprache und eine breite Repräsentation der Gesellschaft werden von vielen Agenturen und Inhouse-Kommunikations-Abteilungen leider immer noch sehr klein geschrieben. Da möchten wir ansetzen und für eine Veränderung sorgen. Denn Kommunikation ist Macht und die muss genutzt werden, um die tatsächliche Gesellschaft abzubilden und nicht immer nur Hans und Peter in die Öffentlichkeit zu zerren.

Yasemin wird sich in ihrer Masterarbeit mit den Strukturen der öffentlichen Verwaltung auseinandersetzen und genau hinsehen, inwiefern dort von Diversität und Inklusion gesprochen werden kann.

Abschließend: Ihr habt die Erfahrung machen müssen, dass sich die Gründer eines erfolgreichen Startups für Periodenprodukte eure Kampagne unter den Nagel gerissen haben und euren Erfolg als den ihren verkauft haben. Eine Erfahrung, die auch viele Frauen im Politikbetrieb machen. Was habt ihr daraus gelernt – wie kann man mit derart dreistem Verhalten umgehen?

Das Schicksal wird es richten 😉 Nein ernsthaft: So etwas passiert jeden Tag. Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns aus diesem Bereich zurückgezogen haben. Es macht einfach keine Freude damit jeden Tag konfrontiert zu werden.

Manchmal hilft es wohl, das Gespräch zu suchen, aber viele Menschen werden ein solches Eingeständnis nicht machen und auch nichts an ihrem Verhalten ändern. Ich glaube, dass wir als Frauen und andere marginalisierte Gruppen sichtbarer werden müssen, damit uns dieser Ideenraub seltener passiert. Für etwas bekannt zu sein, bewahrt einen natürlich nicht vor solchen Vorfällen, aber ich denke, dass es die Chance, dass sich das jemand traut verringert. Auch deshalb wieder: Representation matters.

Über die Akteurinnen

Nanna-Josephine Roloff ist studierte Staatswissenschaftlerin und arbeitet jetzt als PR-Beraterin für IT- und Technologie in einer Hamburger Agentur.

Yasemin Kotra macht gerade ihren Master of Science Interdisziplinäre Public and Non-Profit Studien an der Universität Hamburg.

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Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.

3 thoughts on “Politik zum Anfassen: Wie war das eigentlich mit der Tamponsteuer?

  1. Absolut bewundernswert finde ich die Geduld und Ausdauer der beiden. Besonders wenn ich mir vorstelle wieviele blöde unqualifizierte Kommentare sie sich auf dem Weg anhören durften.
    Und die Analyse „ die Masse mit dem Minimum abgesichert ist und die Not vermeintlich nicht groß genug ist, als dass ein Aktivwerden in Betracht gezogen wird.„ halte ich für sehr stimmig. Die Menschen sind faul (oder haben wirklich keine Zeit) UND die Wege der Einflussnahme sind nicht bekannt. Ich finde es auch blöd, dass man in einer Partei sein muss um Einfluss nehmen zu können.

    1. Danke für den Kommentar! An sich ist die Einflussnahme durch die Parteiarbeit urdemokratisch. So kommt eine Interessenbündelung zustande, durch die echte Mehrheitsbildung möglich ist. Aber ja, es ist heutzutage schwer durchschaubar, wie genau die Wege der Einflussnahme aussehen können. Deshalb will ich hier ja ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. 🙂

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