Hinter der Maske – Patriarchy strikes back
Man könnte sagen, in Deutschland passiert genau das, was sich tagtäglich in heteronormativen Beziehungen abspielt: Was ER nicht sieht und macht, erledigt SIE. Weil das System, in seiner zutiefst patriarchalen Form, den Schutz seiner Bevölkerung mit Schutzausrüstung und Behelfsmasken nicht sicherstellen kann (oder will), leisten tausende von Frauen täglich Unmengen unbezahlter Arbeit – neben ihren Jobs als Mütter, Erzieherinnen, Pflegerinnen, Familienmanagerinnen, Putzkräfte, Taxifahrerinnen und was auch immer sie als Erwerbstätige tun.
Es ist der Automatismus, der mich stört: Nur, weil es halt gemacht werden muss, sind plötzlich alle fein damit, dass Frauen ausbaden, was an entscheidenden Stellen verbockt wurde.
Die Maskenpflicht ist gut und richtig. Dass vornehmlich Frauen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Fluchterfahrungen die Masken in vielen Fällen (nahezu) unbezahlt bereitstellen, ist es NICHT.
Nicht wir, sondern Frauen nähen Masken
Vor knapp vier Wochen, als die Maskenpflicht nur eine dunkle Vorahnung war, veröffentlichte ich folgenden Tweet:
Finde eigentlich nur ich es so ironisch, dass gerade mehrheitlich Frauen Mundschutzmasken nähen, während es gerade mehrheitlich Frauen sind, die das System tragen, um das System zu bewahren, dass sie gerade und seit Jahrhunderten im Stich lässt? #coronadeutschland
— Celsy Dehnert (@mrsdehnert) March 30, 2020
Schon relativ zu Beginn der ganzen Misere fiel mir auf: Die Versorgung der Allgemeinheit mit den wichtigen Masken geschieht durch die unbezahlte Arbeit von Frauen.
Frauen, die mit 4,5 Stunden unbezahlter Arbeit pro Tag sowieso schon in etwa 2,5 Mal mehr leisten als Männer, sind nun auch diejenigen, die zuhause an ihren Nähmaschinen Provisorien fertigen, die unsere Gesellschaft durch die Krise bringen sollen. Selbst ich saß am Wochenende an der Nähmaschine. Nachdem ich die ganze Woche darüber lamentierte, dass „wir noch diese doofen Masken brauchen“, hieß es dann: Selbst ist die Frau.
Wohin ich schaue, ob in Facebookgruppen, meinen Instagramfeed oder in die Medienlandschaft: Es sind nahezu ausschließlich Frauen, die diese Arbeit leisten. Vereinzelt sind auch Männer unter den Nähenden, aber schaut frau genauer hin, sieht sie: Die männlich geführten Betriebe, die gewerblich gefertigte Masken zum Verkauf feilbieten, haben ein Team aus Näherinnen, welche die Produktion hochhalten.
Wir lernen in dieser Situation vor allem, wie aufopfernd Frauen handeln. Es ist, als ob wir dazu dressiert sind, am Rande unserer Belastungsgrenze noch „HIER“ zu schreien, wenn jemand fragt, wer denn noch einen Zusammenbruch gebrauchen könnte.
Ich selbst beobachte diesen Reflex bei mir: Als ich mit einem Freund im Gespräch war, berichtete er, dass ihm die kürzlich gekauften Masken zu eng seien. Ich musste kurz dem Impuls widerstehen, ihm anzubieten, für ihn und seinen Partner ebenfalls welche anzufertigen. Da mein Schnittmuster auch eine Größe für große Erwachsene vorsieht, war es für mich in dem Augenblick nur logisch, ihm diesen Dienst anzubieten, wenn ich eh nähen würde. Solidarisch zu sein. Auch wenn ich selbst nicht mal weiß, wann ich überhaupt eine einzige Maske für mich selbst fertigen soll. Ich machte das Angebot am Ende nicht, weil mir das Wasser bis zum Halse steht – aber der Reflex, der war da.
Hinter der Maske der Solidarität
Es ist stiller Konsens, dass der Staat nicht in der Lage ist, die Masken für seine Bevölkerung in ausreichender Zahl zu beschaffen und deshalb die unbezahlte Arbeit auf die Schultern zahlreicher Frauen verteilt wird. Es gibt keine Vergütung, keine Vergünstigung, nur die vermeintliche Ehre, die mit dem Dienst am Nächsten einhergeht. Man kann argumentieren, dass das in einer solidarischen Gesellschaft nun einmal so funktioniere. Lebt unsere Demokratie nicht auch vom Ehrenamt?
Sicher tut sie das. Aber wer sind denn in diesem akuten Fall die Ehrenamtlichen? Während in der Kommunalpolitik, die deutschlandweit weitestgehend unentgeltlich betrieben wird, die dominierende Zahl an Ehrenamtlichen Männer sind, wird hier nun an die Selbstlosigkeit der Frauen appelliert. Denn sie sind es zuhauf, die nähen. Es zementiert sich die traditionelle Rollenverteilung: Wo es um Macht und Anerkennung geht, häufen sich die Ratsherren. Gilt es Sorgearbeit auszufüllen, überlässt Mann den Vortritt dann doch lieber den Frauen.
Es ist die unkritische Haltung vieler politisch aktiven Akteur*innen, die mich stört. Ich stelle nicht in Abrede, dass gemeinschaftliche Probleme auch nur von der Gemeinschaft zu lösen sind. Aber gerade von Sozialdemokrat*innen und linksliberalen Genoss*innen erwarte ich zumindest leise Kritik an der konservativen Erwartungshaltung. Allerdings herrscht um mich herum Schweigen im Walde.
Völlig unkritisch spammen wir einander und unsere Social Media Feeds mit Do-it-Yourself-Anleitungen zu und legitimieren damit den Druck, der bei denen entsteht, die gerade zwischen Care- und Lohnarbeit sowieso weder ein noch aus wissen. Schon Sabrina vom *innen-Ansicht Magazin stellte in ihrem Artikel dazu fest: „Mich ärgert aber, dass daraus direkt wieder Druck entsteht. Längst fühlen sich einige meiner Freundinnen schlecht, weil die eigene Nähmaschine nach wenigen Dutzend Masken kaputt gegangen ist.“
Irgendjemand muss es ja machen
Wir zementieren den Automatismus, aus dem sich das Patriarchat seit Jahrhunderten in unseren Beziehungen hält. Es muss muss ja gemacht werden und wenn er (der Staat mit seinen vornehmlich männlichen Akteuren) es nicht schafft, dann macht sie es halt. Sonst macht es am Ende nämlich keiner.
Dazu kommt die Frage: Welche Frauen nähen denn die Masken? Ja, es sind auch Singlefrauen darunter. Aber in meiner Wahrnehmung sind es viele Mütter, die neben Care-Arbeit, Erwerbsarbeit, Lehrkörperersatzdienst, etc. abends an ihren Nähmaschinen sitzen und Masken fertigen. Es sind einigen Geschichten nach sogar oft kranke, überlastete, prekär beschäftigte Frauen, die ihre Masken dann auch noch spenden oder verschenken. Neulich las ich sogar davon, dass eine Frau, die selbst nicht ganz gesund ist, im medizinischen Bereich Doppelschichten schiebt und ihren eigenen Sohn pflegt, Masken für ihre Nachbarschaft näht.
Leider weiß ich nicht mehr genau, wo ich es las. Aber ich würde es gern screenshotten und dazu schreiben: DIESE Frauen sind es, die eure Masken nähen.
Nicht nur Frauen nähen Masken
Doch wir reden hier nicht nur von Frauen als diskriminierte Gruppe, sondern auch von weiteren, marginalisierten Personenkreisen. Zuhauf las man Anfang März, dass in Behindertenwerkstätten Masken für umliegende Krankenhäuser oder andere medizinische Einrichtungen genäht wurden, wie etwa in Friesoythe.
Was nach einem tollen, gesamtgesellschaftlichen Projekt klingt und Land auf, Land ab gefeiert wurde, bekommt den Beigeschmack, wenn man genauer hinschaut. Mir der Kritik rund um Behindertenwerkstätten bewusst, habe ich bei Ninia Binias, Autorin, Moderatorin und Slam-Poetin, nachgefragt. Sie ist nicht nur einer der lustigsten Menschen, die Niedersachsen zu bieten hat, sondern aufgrund ihrer eigenen Kleinwüchsigkeit auch Interessenvertreterin für Menschen mit Behinderung. Sie sieht das Nähen von Behelfsmasken in Behindertenwerkstätten folgendermaßen:
„Was so rührig klingt, ist in Wirklichkeit alles andere als gleichberechtigt: Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten Masken nähen (oder andere Arbeiten erledigen), verdienen im Monat durchschnittlich 180 Euro. Im Monat. Das ist weit entfernt vom Mindestlohn und trotzdem fangen sie mit ihrer Arbeitskraft in Heimarbeit gerade das auf, was der Staat versäumt hat – ohne dafür anständig entlohnt zu werden. Davon abgesehen, dass die Arbeitsbedingungen in der Werkstatt grundsätzlich oft wenig mit Selbstbestimmung zu haben.“
Ninia Binias (Instagram: @ninialagrande), Autorin und Moderatorin
Auch hier geben sich Patriarchat und Kapitalismus also wieder alle Ehre. Weil die staatlich organisierten Ressourcen nicht reichten, haben schon zu Beginn der Krise diejenigen, für die sich die Solidargemeinschaft nur selten den Rücken krumm macht, einen Löwenanteil zur Bewältigung des Problems beigetragen.
Was ich in aller Deutlichkeit sagen will: Dadurch, dass die staatliche Koordination und Fürsorge am Punkt Mundnasenschutz so krass versagt, werden Ungleichheiten und Benachteiligungen am laufenden Band reproduziert.
Woher die Masken kommen könnten
Ich wäre glühende Anhängerin der Maskenpflicht gewesen, wenn denn sichergestellt worden wäre, dass auch jede*r eine bekommt. Es heißt immer, der Markt regelt das schon – oder eben auch nicht. Schon letzte Woche waren Masken aller Art im Einzelhandel kaum zu bekommen. Tatsächlich medizinische Schutzausrüstung fehlt an allen Ecken und Enden. Aber auch die Behelfsmasken reichen nicht. Die erste Schneiderei im Landkreis kündigte am 24. April an, bis zum 08. Mai keine neuen Maskenbestellungen entgegen nehmen zu können. Die Baumwollstoffe im hiesigen Tedox waren am vergangenen Samstag nahezu restlos ausverkauft. Wer, wie wir, erst am Wochenende dazu kam, sich mit den seit Montag verpflichtenden Masken eindecken zu wollen, schaute in die Röhre.
Menschen mit einem funktionierenden sozialen Netzwerk sind trotz allem gut versorgt – im Bekanntenkreis findet sich immer jemand, die noch Masken näht. Aber was ist mit denen, deren Sicherungsnetz nicht so gut funktioniert?
Die Alleinerziehende, der die 20 Euro für zwei bis vier Mundschutzmasken richtig wehtun, weil dank Kurzarbeit oder mangelnder Kinderbetreuung das Geld eh schon knapper ist als sonst.
Menschen mit Fluchterfahrung, untergebracht in unwürdigen Auffangstationen, in denen selbst ausreichend Kleidung Mangelware ist.
Die zahlreichen Familien am Existenzminimum, deren Antrag auf Mehrbedarf abgelehnt wird, obwohl die subventionierten Mittagessen in Schule und Kita wegfallen.
Es wäre eine Idee gewesen, die Maskenpflicht erst dann flächendeckend zu etablieren, wenn der Staat ausreichend Masken hätte stellen können. Wer das nun für eine absolut sozialistische Idee hält, schaue nach Dresden oder Düsseldorf, wo organisierte Verteilaktionen von Gratismasken durchgeführt wurden.
Meine alternative Idee wäre auch gewesen, die sozialen Ungleichheiten dadurch abzumildern, dass es staatlich finanzierte Gutscheine gegeben hätte. Für jeden Haushalt über Masken in ausreichender Anzahl, wahlweise einzulösen im lokalen Einzelhandel oder online. Die Verkaufsstellen könnten dann entsprechende Rechnungen an die öffentliche Hand stellen. Die Idee mag abgefahren klingen und mit einer MENGE Arbeit verbunden sein. Sie wäre aber ein gutes Rezept gegen sich verschärfende Ungleichheiten gewesen.
Eine letzte, skandalöse Idee habe ich außerdem: Wie wäre es denn, wenn sich die gutverdienenden, im Homeoffice arbeitenden, kinderlosen Männer an die Nähmaschinen setzen würden? Würden wir diese Arbeitskraft nutzen, das Versorgungsproblem wäre sicher im Nu gelöst.
#hinterderMaske – unbezahlte Arbeit sichtbar machen
Nun kommst du ins Spiel! Lass uns gemeinsam all die unbezahlte Arbeit, die in dieser Krise geleistet wird, sichtbar machen: das Nähen der Masken. Die Fürsorgearbeit zuhause. Das Homeschooling. Die Versuche, Förderangebote für Kinder mit besonderen Bedarfen zu ersetzen. Das Nachfragen bei Freund*innen, denen es gerade nicht gut geht. Der Einkaufsdienst für die Nachbarschaft. Pflege von Angehörigen. Etc. All die unbezahlte Fürsorgearbeit, die uns alle durch die Krise bringt.
Wie? Poste ein Selfie von dir und einem Schild mit #hinterderMaske in den sozialen Netzwerken. Verwende dafür den Hashtag und verlinke diesen Blogbeitrag. Wer mich außerdem gerne taggen möchte, findet mich auf IG als @idealistin_mit_dickkopf oder auf Twitter als @mrsdehnert.
Transparenzhinweis: In der ursprünglichen Version des Textes wollte ich auf die Problematik eingehen, die auftritt, wenn Menschen mit Fluchterfahrung Masken für die Allgemeinheit nähen. Oft ist auch dies unbezahlte Arbeit und wird teilweise von Menschen erbracht, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Da ich allerdings in der Kürze der Zeit weder Betroffene noch Interessenvertretungen für eine Stellungnahme erreichen konnte, habe ich den Aspekt ausgespart. Ich möchte mir da kein Thema aneignen, das ich nicht angemessen vertreten kann. Wer dies kann und möchte, kann sich aber jederzeit bei mir melden, sodass wir auch für dieses Thema Sichtbarkeit schaffen können!
Da wir Frauen sowieso viel zu viel unbezahlte Arbeit leisten, bitte ich dich, meinen Blog und die Arbeit, die ich hier leiste, durch einen kleinen Beitrag zu unterstützen. Du kannst mir HIER einen Kaffee spendieren oder du schließt ein Abo bei Steady ab, um meine Arbeit monatlich zu unterstützen.
Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.
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