Eine bittere Pille
Als ich anfing, die Pille zu nehmen, war die Entscheidung easy: Wir hatten keinen Bock auf Kondome, waren 16 Jahre alt, Babys kriegen war also so überhaupt keine Option und unsere Beziehung war monogam. Wieso also nicht zu der winzig kleinen Tablette greifen, die uns so viele Sorgen auf einmal abnahm?
Disclaimer: Das hier ist ein Meinungsbeitrag, keine quellenfundierte Arbeit und keine medizinische Beratung. Umfassende Infos zur Antibabypille gibt es z.B. bei Generation Pille.
Rückblickend betrachtet denke ich: Eine Beratung durch meine Gynäkologin wäre nett gewesen. Sie hätte mir eventuell bis zu 50kg Übergewicht, eine kaputte Schilddrüse und fünfeinhalb Jahre Kinderwunsch inkl. Weg in die Kinderwunschklinik erspart. Lange Jahre war ich überzeugt: Es war DIE Pille, ganz generell. Teufelszeug, Hormonbombe, lebensgefährlich.
Feministischer Kampf gegen die Antibabypille
Mit dieser Haltung war ich nicht allein. Was in den 1970ern noch als DAS Mittel zur Befreiung der Frau gefeiert wurde, musste sich in den vermeintlich emanzipierten Medienkreisen ab 2015 einer Kritik unterziehen, die einer Hetzjagd glich. Plötzlich waren natürliche Verhütungsmethoden, eine Verbindung mit dem weiblichen Zyklus und eine Lebensweise ohne zusätzliche Hormone en vogue. Natürlichkeit war das Non-Plus-Ultra. Da ich zu dieser Zeit sowieso fleißig an einem Baby „bastelte“, wie man auf IG und in den Foren so schön sagte, kam mir das alles sehr entgegen.
Mit zunehmender Kritik an der „Pille“ häuften sich die Horrorstorys: Lungenembolien auf dem Flug in die Flitterwochen, Thrombosen, unkontrollierbare Gewichtszunahmen und -abnahmen, schwerwiegende Depressionen – all das schien plötzlich viel präsenter zu sein als die Tausenden von Frauen, die scheinbar problemlos hormonell verhüteten.
Diese Geschichten, aber vor allem auch die Fakten zu Nebenwirkungen und Risiken sowie mein eigenes Erleben setzten sich. Festigten sich in meinem Gehirn und machten es mir quasi unmöglich, mich jemals vorbehaltlos auf eine nicht-mechanische Verhütungsmethode einzulassen.
Die Realität für mich war aber auch: Mit meinem hormonfreien Leben begann ein Leben voller Hormone. Ich nahm Metformin gegen die Insulinresistenz, L-Thyroxin gegen die Schilddrüsenunterfunktion und mit Beginn der Schwangerschaft Progesteron gegen die drohende Fehlgeburt. Bis heute gehören 75 Mikrogramm L-Thyroxin oder mehr zu meinem täglichen Frühstück, denn durch meine Autoimmunerkrankung ist meine Schilddrüse dezent unzuverlässig.
Gleichzeitig erlebte ich aber auch, dass ein Leben im vermeintlichen Einklang mit meinem Zyklus nicht zwingend entspannt ist: Meine Zyklen vor der Schwangerschaft mit Erik waren unregelmäßig, ich hatte keinen Eisprung, teilweise wartete ich bis zu 60 Tage lang auf eine Blutung. Ich war schier unberechenbar, von meinem unregelmäßigen Zyklus furchtbar gestresst und wenn ich dann meine Regel hatte, war es, als ob in meinem Uterus die reinste Schlachthausparty stattfand. Kurzum: Ich hasste es.
Warum Frau die Pille nicht nehmen sollte
Grundsätzlich lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Antibabypille ein erhöhtes Thromboserisiko mitbringt. Besonders ausgeprägt ist dies bei Pillen der sogenannten 3. und 4. Generation und für Menschen mit Übergewicht und bei Raucherinnen (Quellen: Techniker Krankenkasse und Quarks). Damit kann ich an mindestens einem Punkt einen Haken setzen. Das Rauchen habe ich mir mit der Chemo – wie es scheint – endgültig abgewöhnt. Aber das Übergewicht bleibt.
Darüber hinaus war auch mir immer klar: Einem Körper, der dafür gemacht ist, in Phasen zu funktionieren, einem Zyklus zu folgen, vorzugaukeln, er wäre dauerschwanger, kann auf Dauer nicht so gesund sein. Menschen, die mit der Pille verhüten, berichten immer wieder von Depressionen, Übelkeit, Schmerzen in der Brust, Schlafstörungen…die Liste der Nebenwirkungen ist lang. Jede, die einigermaßen reflektiert ist, weiß, dass jede Medikamenteneinnahme Nebenwirkungen hat. Die Pille ist schlussendlich nichts anderes – ein Medikament zur Empfängnisverhütung.
Was für mich persönlich gegen die Pille sprach
Über ein erhöhtes Krebsrisiko (Haha, hat mal wer was Neues?) und mögliche Thrombosen hinaus bewegten mich aber noch ganz andere Nebenwirkungen, die für mich gegen eine erneute Pilleneinnahme sprachen: Weiteres Zunehmen an Gewicht bspw., ein etwaiger Libidoverlust und die Angst, wieder gegen die Depressionen kämpfen zu müssen, die mich schon einmal fest im Griff hatten.
Diese drei Aspekte wogen für mich viel, viel schwerer als all diese abstrakten Zahlen zu Krebs- oder Thromboserisiko. Ich haderte schlussendlich über zwei Jahre lang damit, ob ich meinem Körper, der sowieso ein hormonelles Chaos ist und zusätzlich so viel ertragen musste, wirklich einen weiteren Eingriff in Form von niedrigdosiertem Desogestrel zumuten konnte.
Hinzu kam, dass ich nach der Chemo etwas erleben durfte, das ich aus meinem Leben kaum kannte: regelmäßige Zyklen. Für einige, wenige Monate war ich tatsächlich im Einklang mit meinem weiblichen Phasenspiel. Ich spürte meinen Eisprung, nahm die Veränderung meiner Stimmung war und konnte auf den Tag genau vorhersagen, wann meine Regelblutung eintreffen würde. Ich erlebte, wie perfekt mein Körper imstande war, zu tun, was er sollte. Eine Erfahrung, die für mich nach dem Krebs nahezu essentiell war – und sich so perfekt einfügte in die Erzählung auf Social Media, nach der die Natürlichkeit des weiblichen Zyklus das höchste Ziel in der selbstbestimmten Sexualität sei.
So war ich mir bis November 2019 ziemlich sicher, dass das Thema Antibabypille für uns gegessen ist.
Und dann passiert dir mal ein Missgeschick…
Das alles spielte selbstverständlich auch meinem Lieblingsargument für die Antibabypille in die Hände: Ich HASSE Kondome. I know, wer tut das nicht!? Sicher, solange man nicht monogam lebt, sind Kondome außerhalb der eigenen Beziehung Pflicht und Gesetz. Aber zuhause, für uns allein? Mein absoluter Horror. Da kommt mir die Pille einfach sehr entgegen. Im Eifer des Gefechts kann man nichts vergessen, nichts kann platzen oder aus dem Fick des Jahrzehnts mit einer falschen Bewegung den absoluten Lustkiller machen.
Abgesehen davon misstraue ich Kondomen von Grund auf. Zwei Mal seit Ende der Chemo hatten wir die Situation, dass wir dachten, uns sei ein Malheur passiert und ich könnte schwanger sein. Einmal hatte mein Zyklus einen kleinen „Aussetzer“, das andere Mal dachte ich, ich sei über den Eisprung schon weit drüber und stellte dann ganz am Ende fest, dass der Zyklus immer länger wurde, weil es gar keine Ovulation gegeben hatte.
Beide Male waren die Zeit des Wartens auf den Schwangerschaftstest und sein Ergebnis die Hölle. Wir wollen kein drittes Kind, wir können auch gar kein drittes Kind bekommen. So dicht nach der Chemo wird uns dringlich davon abgeraten und mein Körper hat die anderen beiden Schwangerschaften auch nicht wirklich gut vertragen. Außerdem sind wir mit zwei Kindern bereits am Rande unserer Kapazitäten. Dieser Stress, mit einer dritten Schwangerschaft rechnen zu müssen, war für mich grauenvoll.
Mit der Blinddarm-OP im November begann dann auch das alte Spiel, das ich von meinem Zyklus ja so gut kannte: Er war lang, unregelmäßig und unberechenbar – oder er war unfassbar kurz, was immerhin eine neue Variante des Spiels darstellte. Zyklen von 14 Tagen waren zwischendurch keine Seltenheit. Ich merkte, wie unwohl ich mich fühlte. Zum einen war da immer dieser Stress, nicht zu wissen, wo ich nun stand und ob ich nicht doch von einer Blutung überrascht werden würde. Zum anderen merkte ich, wie es mir körperlich zusetzte. Die Apotheke nebenan hat in den vergangenen Monaten einen schönen Reibach damit gemacht, mir Medikamente gegen Pilzinfektionen zu verkaufen.
Schlussendlich ist es gar nicht so überraschend, dass mein Körper so reagiert. Ich durchlaufe auch phasenweise noch Schübe an Nebenwirkungen von der Chemo – wie kann ich also erwarten, dass mein Zyklus regelmäßig verläuft?
Also nehme ich jetzt wieder die Pille – oder nicht?
Darüber hinaus musste ich mir eingestehen: Desogestrel habe ich allen Vorurteilen zum Trotz immer gut vertragen. Nach Eriks Geburt hatte ich mir irgendwann eine Stillpille verschreiben lassen, die eben diesen Wirkstoff enthielt. Zwischen Schreibaby, kurzen Nächten und zu viel Arbeit traute ich unserer Disziplin schlicht weg nicht über den Weg. Unter dem Desogestrel ging es mir aber immer gut – keine Verstimmungen, ich verlor weiterhin an Gewicht, meine Libido schien zwischendurch noch ihre Schwestern mitgebracht zu haben: All das, vor dem ich mich gefürchtet hatte, war vor der Schwangerschaft mit Nova nicht das geringste Problem.
Als ich nun vor 14 Tagen wieder einmal meine Regelblutung bekam und beim Nachrechnen feststellte, dass die Periode davor auch gerade einmal 14 Tage her gewesen war, habe ich den Rat meines Gynäkologen befolgt und mir von ihm die Minipille aufschreiben lassen, die ich auch schon während der Stillzeit mit Erik genommen habe.
Für mich ist Sicherheit hier der ausschlaggebende Faktor. Kondomen misstraue ich und die letzten beiden Male, als wir uns auf der sicheren Seite wähnten und dann doch bangen mussten, haben mich tief verunsichert. Außerdem gehen die Regelblutungen bei mir mit solchen Schmerzen einher, dass ich zumindest grob wissen muss, wann ich Arbeit und Kinder so plane, dass ich zur Not auch mal im Bett bleiben kann. Da kann ich nicht mit Zyklen zwischen 14 und 60 Tagen hantieren. Also, sicher könnte ich – aber es geht mir nicht gut dabei.
Nichtsdestotrotz wird auch diese Entscheidung keine permanente bleiben. Sie ist eine Übergangslösung, bis wir die Ruhe und die Kohle haben, um die Sterilisation in Angriff zu nehmen, auf die wir uns geeinigt haben. Da wir uns definitiv sicher sind, keine Kinder mehr zu wollen, wird mein Mann sich den Hahn abdrehen lassen. Bis er dann steril ist, werde ich die Pille nehmen. Anschließend schauen wir weiter. Vielleicht gebe ich meinem Zyklus eine Chance und werde dann nochmal – nach einem ausführlichen Hormonstatus und dem Versuch, dem Problem auf die Schliche zu kommen – den Versuch wagen, in Einklang mit meinem weiblichen Uhrwerk zu kommen. Angesichts der Risiken der Antibabypille wäre das sicher eine gute Entscheidung. Wir werden sehen.
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Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.