Wie ich gar kein Kind und unbedingt eins will

Die freiwillige Entscheidung gegen ein Kind ist wichtig

Vor der Chemotherapie im Krankenhaus fragte man mich genau ein Mal, ob meine Familienplanung schon abgeschlossen sei. Genau genommen war es keine Frage, es war mehr eine Vermutung, fußend auf der Tatsache, dass ich schon zwei Kinder habe. Aus genau diesem Grund, dass ich zwei Kinder in eineinhalb Jahren bekommen hatte, nickte ich überzeugt und bekräftigte, dass mir zwei Kinder genug seien. Nein, ich bräuchte keine fruchtbarkeitserhaltenden Maßnahmen während der Chemotherapie. Wie dumm ich doch war.

Meine Fruchtbarkeit ist Kollateralschaden

Fast forward sieben Monate später. Ich sitze auf meinem Sofa und habe Periodenneid. Den momentan viel beschworenen Periodenneid, von dem die Kondommarke einhorn momentan hofft, ihn bei den Männern wecken zu können. Denn meine Periode habe ich nicht mehr. Sie versiegte im ersten Chemozyklus. Ob sie wiederkommt, kann und will mir keiner sagen. Die Folgen der Chemotherapie sind zu ungewiss. Welches Schlachtfeld sie in meinem Uterus hinterlassen haben könnte, ist nebensächlich. Kollateralschäden im Kampf gegen den Krebs. Nun entwickelt sich der Neid, das Bedauern darum, Menstruationstassen, naturbasiert produzierte Tampons und Periodenwäsche nicht testen, nicht ausprobieren zu können.

Die Periode, meine alte Freundin

Früher habe ich sie, habe ich meine Menstruation gehasst. War froh um ihr Ausbleiben, habe die Schwangerschaften unter anderem deshalb genossen. Selbst während der Chemo dachte ich, an den Zustand ohne Periode könnte ich mich gewöhnen. Doch mittlerweile vermisse ich sie. Wie eine alte Freundin, die mich immer wieder nervte und die ich doch zu schätzen weiß, weil sie mir gut tut.

Das Ausbleiben meiner Regelblutung tut mir nicht gut. Ich merke, wie die Schneise, welche die Chemo hinterlassen hat, auch meinen Hormonhaushalt durchzieht. An manchen Tagen bin ich launisch, reizbar, übermäßig emotional. An anderen Tagen zynisch, für meine Verhältnisse unempathisch. Die meiste Zeit möchte ich wegen allem und jedem heulen. Meine Libido leidet und mit ihr meine Ehe. Wir haben 13 Jahre lang zu gut und zu gern miteinander verkehrt, um das Loch jetzt nicht zu bemerken.

Ich will kein Kind wollen können

Im Ausbleiben der Blutung steckt so viel. Es ist nicht das Gefühl, den neuesten Trend, DAS vermeintlich feministische und doch durch und durch kapitalistische Accessoire in Sachen Menstruation zu verpassen. Viel mehr fühle ich, spüre ich, wie mir ein Teil meiner Weiblichkeit fehlt. Menstruation definiert Weiblichkeit nicht unbedingt, aber für mich, für meine Weiblichkeit, war sie ein Teil davon. Der nun fehlt.

Wenn ich nun nach der Chemo nicht menstruiere, kann ich ziemlich sicher davon ausgehen, dass ich keinen Eisprung habe. Ohne Eisprung kann ich nicht schwanger werden und wer nicht schwanger wird, bekommt selbst kein Kind. Das bedeutet, beim aktuellen Stand der Dinge bekomme ich kein drittes Kind. Ob ich will oder nicht.

Es ist allein die Tatsache, dass ich kein drittes Kind bekommen kann, die den Wunsch danach umso heftiger weckt. Wobei es weniger der Wunsch nach einem dritten Kind ist. Ich habe viel mehr den Wunsch, mich aktiv und eigenständig gegen dieses dritte Kind entscheiden zu können.

Handlungshoheit ist Selbstermächtigung

Das ist mein Punkt. Ich will gar kein drittes Kind. Aber jetzt, hier, in diesem Augenblick, ist das völlig irrelevant. Denn es ist nicht meine Entscheidung. Es ist keine freiwillige Entscheidung. Dass ich aller Voraussicht nach nicht noch einmal Mutter eines eigenen Kindes werde, hat, durch die Chemotherapie, der Krebs für mich entschieden. In dieser so elementaren Frage wurde mir meine Handlungshoheit genommen.

Nicht jeder muss Kinder bekommen und vor allem ich muss kein drittes Kind bekommen. Aber in unserem Dasein sind wir auf Fortpflanzung programmiert und in diesem evolutionären Diktat sollte es unsere eigene, freie Entscheidung sein, ob wir tatsächlich Nachwuchs in die Welt setzen oder ob wir uns diesen Schritt ersparen. Die Handlungshoheit darüber, ob wir Kinder bekommen, sollte bei jedem selbst liegen.

Diese Entscheidung nicht selbst treffen zu können, erzeugt Ohnmacht. Im Übrigen egal, welche Wahl man bevorzugt. Ob jemand ein Kind möchte oder nicht, diese Wahl sollte diese Person selbst und ganz eigenmächtig treffen dürfen. Nur dann kann Selbstermächtigung entstehen.

Pro Choice

Für mich wäre die Möglichkeit, mich gegen ein drittes Kind entscheiden zu können, weil es eine Option wäre, wichtig. Es wäre wichtig, selbst eine Entscheidung zu treffen, selbst Verantwortung für Tun oder Lassen zu übernehmen.
Für mich bedeutet das auch, offen einzutreten für all diejenigen, die sich gegen ein Kind entscheiden – egal an welchem Punkt. Ob sie nun von vornherein Vorkehrungen treffen oder ob sie für ihr Recht auf einen straffreien, wohlüberlegten Schwangerschaftsabbruch streiten. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus denke ich, dass die aktive, freie Entscheidung gegen oder eben für ein Kind die wichtigste ist, die ein Mensch treffen kann.
Ungeachtet, wie die Entscheidung schließlich ausfällt: Erst, wenn ein Mensch beide Optionen hat und sich ohne Druck für oder gegen etwas entscheiden kann, entsteht Selbstermächtigung.

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Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.

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