Das Private ist politisch – oder: Warum tu ich mir das eigentlich an?
Ich war nur eine wütende Mutter, die sich um die Hebammenversorgung sorgte, nichts weiter. Ich hatte kein Netzwerk, nicht die richtigen Bekannten und komme aus einem durch und durch unpolitischen Haushalt. Nichtsdestotrotz hat mich jemand vor einiger Zeit zu Nienburgs politischem Nachwuchs auserkoren. Ich bin in eine Partei eingetreten, engagiere mich in deren Jugendorganisation, arrangiere Termine mit der Bundestagsabgeordneten, plane Themenwochen und führe schier endlose Diskussionen zu den immer gleichen Themen in den sozialen Netzwerken.
All das kostet: Zeit, Energie, Ressourcen, die ich woanders einsparen muss. Es gibt Wochen, in denen ich an fünf von sieben Tagen Termine wahrnehme. In meinem direkten Umfeld, das von Skepsis und Misstrauen gegenüber der Politik geprägt ist, fehlt mir der emotionale Support, den ich manchmal bräuchte. In meinem DM-Postfach bei Instagram sammeln sich langsam Antifeministen, Trolle und unerwünschte Dickpics.
Das ist bereits jetzt mein Alltag, obwohl ich noch nicht einmal ein politisches Amt innehabe. Mit dem Startschuss zu „Frau.Macht.Demokratie.“ am 30. August beginnen für mich zwei Jahre, in denen ich noch intensiver in den politischen Alltag schnuppern darf. Mein Ziel: Die Kommunalwahl 2021, der Einzug in den Stadtrat.
Als die Bewerbung für das Mentoringprogramm ins Haus stand, habe ich mehrere Gespräche geführt, die alle in etwa gleich klangen:
Random Mensch: „Das ist total cool, klar! Aber schaffst du das denn auch?“
Ich: „Bestimmt. Ich mein, viel stressiger werden als jetzt kann es auch nicht.“
RM: „Du bist halt jetzt schon hart gestresst und hast viel zu wenig Zeit für dich. So gesund bist du auch noch nicht. Bist du sicher, dass du dir das dann wirklich antun willst?“
Bin ich. Deshalb ist dies hier ein Essay darüber, warum ich politisch aktiv bin, wenn doch jeder glaubt, ich sollte das doch lieber (anderen über-) lassen.
Wenn es keiner macht, machen es die Falschen
Politik kann beizeiten ein Kraftakt sein, der sich zwar immer lohnt, der aber auch einen sicheren Hafen benötigt. Ich persönlich glaube fest: Wenn es keiner macht, machen es die Falschen. Überlassen wir die Gestaltungsmacht immer anderen, dann finden wir am Ende eine Gesellschaft vor, die gestaltet ist von denen, die sich nur selbst bereichern und ihre eigene Agenda voranbringen wollen. Das Gemeinwohl geht dabei verloren. Natürlich könnte ich mich darauf ausruhen, dass ich krank, selbstständig und Mutter von Kleinkindern bin. Jeder hätte Verständnis dafür, wenn ich mich engagiere.
Ich sehe aber auch: Weil sich meine Generation, die jungen Eltern, junge Menschen, verhältnismäßig wenig engagieren, folgt die Gestaltung der Stadt einem überalterten Muster. Familienfreundliche Einrichtungen wie gut unterhaltene Spielplätze, eine attraktive Innenstadt, ein barrierearmer öffentlicher Nahverkehr – das sind alles Dinge, die zurzeit nur wenig vorankommen. Gleichzeitig sind es die Dinge, die in der Zukunft immer wichtiger werden.
Gleichzeitig treffen Menschen immer Entscheidungen innerhalb ihres eigenen Horizonts. Keiner kann den Senioren vorwerfen, dass der Zustand von Spielplätzen nicht ganz oben auf ihrer Agenda steht. Immerhin verbringen sie keine Zeit dort – sie wissen wahrscheinlich nicht einmal, wie viele Spielplätze das Stadtgebiet anbietet. Ist im Rat, in den Ausschüssen, in den verantwortlichen Gremien allerdings niemand, der sie darauf hinweist, kümmert sich auch niemand um diese Spielplätze.
Gut situierten Menschen kann man kaum verdenken, dass der ÖPNV für sie kaum eine Rolle spielt, wenn sie ihre Wege entweder problemlos zu Fuß oder in einem komfortablen Pkw erledigen können. Wer nicht viel Bus oder Bahn fährt, scheitert nicht an schlechten Verbindungen und hohen Ticketpreisen. Weist sie niemand daraufhin, setzt sich niemand für einen erschwinglichen und gut ausgebauten Personennahverkehr ein, werden zusätzliche Buslinien eher noch gestrichen als finanziell gefördert.
Das Private ist politisch
Ich bin von Haus aus Pragmatikerin: Bevor es keiner macht, mach ich’s lieber selbst. Gerade meine Lebenssituation – Frau, Ende 20, Mutter von Kleinkindern, selbstständig und örtlich gebunden – sehe ich in den momentanen Gremien wenig vertreten. Gleichzeitig weiß ich, dass dies in etwa die Schablone ist, die in der Zukunft darüber entscheidet, ob die Stadt wachsen und gedeihen oder verwelken und aussterben wird. Wer nicht in die Familien investiert, wer junge Leute, enthusiastische Singles nicht mitgestalten lässt, verliert sein Potential für die Zukunft.
Gleichzeitig seh‘ ich, dass in diesem Mantra, so abgedroschen es auch sein mag, viel Wahres steckt: Das Private ist politisch. Von der Geburt eines Kindes über das morgendliche Aufstehen bis hin zum letzten Gang, ohne politische Gestaltung, ohne die öffentliche Hand geht nichts. Das Wasser aus dem Wasserhahn gelangt nicht durch Zauberei dorthin, sondern wird durch die Kommune, welche die Wasserversorgung sicherstellt, bereitgestellt. Die Straßen, die wir jeden Tag nutzen, sind kein Geschenk des Himmels, sondern das Ergebnis der Zusammenarbeit aus kommunalem Gremium und der örtlichen Verwaltung. All das, was wir für selbstverständlich halten – vom Wasser über den Gehweg bis hin zum Reisepass – finanziert sich nicht von Luft und Liebe, sondern von (hoffentlich) klug verwalteten Steuergeldern.
Sei selbst die Politikerin, die du dir wünschst.
Die Konsequenz ist ganz einfach: Will ich, dass die von mir gezahlten Steuern klug eingesetzt werden, dass meine gewählte Heimat in meinem Sinne gestaltet und meine Interessen repräsentiert werden, dann muss ich mein Vertrauen denen schenken, die das tun. Ich kann also diejenigen wählen, die meine Interessen vertreten. Oder ich stelle eben fest, dass dort kaum jemand ist, der die Dinge, die mich betreffen, ebenfalls wahrnimmt. Hier habe ich zwei Möglichkeiten: Ich lege die Hände in den Schoß und ärgere mich aber jedes Mal, wenn die Dinge, die für mich und andere in meiner Situation wichtig wären, übergangen werden.
Ich habe aber auch eine zweite Wahl: ich bin selbst die Person, die ich mir in den politischen Gremien wünschen würde. Meine Wahl war, schlussendlich auch durch den Krebs geprägt, eine ganz einfache. Ich habe keine Lust mehr, mich immer nur zu ärgern und darauf zu hoffen, dass es jemand anderes macht. Ich gestalte lieber selbst.
Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.