#fraumachtpolitik: Wie Politik (fast) meinen Idealismus killte
Etwas über ein Jahr, nachdem ich auf Social Media schrieb: „Das Ding mit der #Politik, das könnte echt meins sein“, wird es Zeit für ein Fazit. Erste Erfahrungen, eine Pandemie und eigene Altlasten haben für durchwachsene Momente gesorgt. Das Ironische ist: Ich wäre fast an all dem gescheitert, was Frauen hauptsächlich davon abhält, sich politisch zu engagieren.
Allein auf weiter Flur
Es gab in den vergangenen bald drei Monaten, die dieser Ausnahmezustand namens Pandemie schon dauert, einige Momente, in denen ich stinkwütend war. Auf „die Politik“, auf Strukturen, auf das Patriarchat. Immer wieder stolperte und fiel ich über die Geringschätzung, die Familien und Sorgearbeit in unserer Gesellschaft erfahren. Ich konnte schlicht nicht fassen, wie schnell Familien im Stich gelassen werden, wenn es gilt, das sinkende Schiff zu retten.
Ich stolperte allerdings auch über das Unverständnis einiger Genoss*innen. Weggefährt*innen, mit denen ich in den vergangenen 15 Monaten eng zusammengearbeitet habe, die nun Elternperspektiven so gar nicht nachvollziehen wollten. Stellenweise fiel ich auch darüber, wie Genoss*innen mit anderen Akteur*innen umgingen. Statt gegenseitiger Unterstützung wurde einander in den Rücken gefallen. Wie viel Solidarität steckt in einer Partei, wenn die Empathie schon fehlt?
Ich muss mir eingestehen: Das Problem an sich, das ist nicht neu. Auch hier war Corona nur das Brennglas, das meine Sicht auf die bestehenden Schwierigkeiten schärfte.
Erst wenige Monate vor der Pandemie hatte ich in meiner Position als Mentee feststellen müssen, dass eine von außen betrachtet nüchterne, politische Frage schnell zu einer emotionalen Sitzung hochkochen kann, wenn „Bei uns ging’s doch auch“ auf „Wir können Eltern aber nicht so im Regen stehen lassen“ trifft. Wie sehr die eigene Perspektive auch den Umgang mit politischen Fragen prägt, war mir schon länger klar. Doch zu diesem Zeitpunkt lernte ich, dass Genoss*innen nicht immer Verbündete sind.
Das war jetzt abstrakt, muss es aber auch sein, weil ich keine Interna weitergebe. Was ich sagen will: Ich wollte mich gern der Illusion hingeben, dass ich mich auf politische Weggefährt*innen immer verlassen kann, musste dann aber auf die mittelharte Tour lernen, dass wir nicht immer dieselben Interessen verfolgen. Überwiegt für mein Gegenüber ein anderes Interesse oder fehlt schlicht die Empathie, sich in das Problem hinein zu denken, stehe ich auch innerhalb einer Partei, einer Fraktion oder einer Initiative schnell allein auf weiter Flur.
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Politisches Engagement ist stetes Taktieren
Gerade für jemanden wie mich, die so sensibel, idealistisch und emotional durch ihr Leben geht, können der Pragmatismus und die Berechnung, mit der viele „alte Hasen“ Politik machen, enttäuschend sein. Mittlerweile mache ich mir nichts mehr vor: Politik ist auch auf kommunaler Ebene ein einziges Taktieren, Manövrieren und Austarieren. Idealismus und Leidenschaft sind ein fantastischer Motor für Veränderung, können im politischen Betrieb aber auch die eigene Stolperfalle sein.
Auch in der Kommunalpolitik bedeutet Politik machen Taktieren und Berechnung. Wo wir eigentlich gemeinsam nach der besten Lösung für das Allgemeinwohl suchen sollten, sorgen nicht selten gekränkte Egos und vorausschauende Strategien dafür, dass Kitas nicht gebaut werden oder Schulen auf die Sanierung warten. Ziehen Fraktionen und Verwaltung nicht an einem Strang, weil verschiedene Vorgeschichten für verbrannte Erde gesorgt haben, kann das die Entwicklung einer ganzen Kommune behindern.
It’s a man’s world. Es sind die alten, patriarchalen Strukturen. Wenn das eigene Ego ein Monument braucht oder alte Streitigkeiten sich nicht überwinden lassen, dann wird das Gemeinwohl schnell geopfert. Vor allem die, die keine Lobby haben, leiden darunter. Kinder, Familien, Menschen am Rande der Gesellschaft. Diese Sachen sind es, die mich so müde machen. Ich will Politik machen, um genau diese Missstände zu überwinden – und sehe dabei live und in Farbe, wie sie zementiert werden.
Die ewige Unvereinbarkeit – politisches Engagement und die Zeit
Doch es ist nicht nur das stete Laufen auf Zehenspitzen. Es gab in den letzten 15 Monaten Phasen, in denen ich so viele Abendtermine hatte, dass mein Sohn mich bat, zuhause zu bleiben. Und genau das hat mir bei allem Idealismus das Herz gebrochen.
Es ist wohl für viele Frauen der Grund Nummer 1, aus dem sie sich nicht politisch engagieren: Neben Job und Carearbeit bleibt schlicht keine Zeit für ein Ehrenamt. Bei Alleinerziehenden noch viel weniger. Manche sagen, das Problem mit der Zeit ließe sich in Beziehungen durch Parität in der Partnerschaft lösen. Ich persönlich glaube mittlerweile, dieser Ansatz ist zu kurz gedacht.
Parität funktioniert zum einen nur da, wo auch mindestens zwei sind, die sich die Aufgabe teilen können. Wen sollen aber Alleinerziehende fragen? Wer entlastet pflegende Angehörige, damit sie ihre Interessen selbst vertreten können? Nach Monaten, in denen ich teilweise vier Abendtermine pro Woche hatte, bin ich der Überzeugung: Wer das Problem der wenigen Frauen durch Parität in der Partnerschaft lösen will, verschiebt ein strukturelles Problem ins Private.
Wie kam ich denn zu meinen vier (Abend)Terminen in der Woche? Wenns sich ganz doll staute, dann waren da die Fraktion, der Rat, der Unterbezirksvorstand und die Jusos. Oder die Fraktion, der Ausschuss, der Unterbezirksvorstand und die AWO. Oder die Fraktion, der Rat, ein Arbeitskreis und Termine mit Kooperationspartner*innen…das alles lief neben meiner regulären Arbeit und der Familie.
Sicher lassen sich Abstriche machen. Aber, sollte ich mich für ein Mandat entscheiden und gewählt werden, könnten solche Wochen öfter einmal vorkommen. Da überlege ich mir schon stark, ob ich dann ein Treffen mit einer Freundin oder einen Arbeitstermin noch leisten kann. Denn meine Kinder sind noch sehr klein und egal, wie gut der Papa das macht – wir vermissen einander trotzdem. Von Abenden als Paar ganz zu schweigen.
Gerade im Ehrenamt ist das Ganze die Quadratur des Kreises: Für junge Mütter wie mich sind diese zahlreichen Abendtermine kaum zu stemmen. Tagsüber lässt sich so etwas wegen der Lohnarbeit aber auch nicht terminieren. Abstriche lassen sich nur bis zu einem bestimmten Grad machen. Zumal man sich als Einsteigerin, vor allem, wenn man jung ist, auch durch Präsenz seine Sporen verdienen muss. Auch 2020 leider noch. Manchmal denke ich, es „richtig“ zu machen, erfordert zu viel als dass ich es jetzt gerade, mitten in der Familienphase, leisten kann.
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Nur strukturelle Lösungen machen Engagement möglich
Bei all diesen Ausführungen will ich nochmal drauf hinweisen: Ich bin super privilegiert, weil ich in einer intakten Beziehung mit einem sich kümmernden Mann lebe und meine beiden Kinder keine Behinderung haben. Wenn ich schon so darum kämpfen muss, politisch teilzuhaben – wie geht es denn Alleinerziehenden oder pflegenden Angehörigen erst? Zudem bin ich selbstständig im Homeoffice tätig. Wie arrangieren Menschen im Schichtdienst oder mit Montagejobs ihre politische Teilhabe?
Für mich liegen Problem und Lösung im System. Gesellschaftliche Teilhabe und politische Partizipation funktionieren nur, wenn Menschen die Ressourcen dazu haben. Sie müssen zum einen finanziell soweit abgesichert sein, dass sie freie Zeit für unbezahlte Arbeit erübrigen können. Zum anderen muss aber eben auch ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Für mich haben Verjüngung und Diversifizierung von Politik keine Zukunft, solange wir an der 40-Stunden-Woche festhalten.
Zahlreiche Frauen zerreißen sich schon zwischen Lohn- und Carearbeit. Solange wir Vollzeitarbeit als Ideal definieren und eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden als einzig wertvoll und produktiv erachten, wird Politik das Spiel alter, weißer Männer bleiben.
Weder Mentoringprogramme noch Ehrenamtspreise werden Frauen dazu bewegen, Politik zu machen, wenn sie miterleben, wie alte Strukturen immer und immer wieder zementiert werden. Das fängt übrigens auch da schon an, wo in den Praxisbeispielen des Mentoringprogramms für Frauen ständig von Schulausschüssen, Kitabedarfsplanung oder Jugendhäusern die Rede ist. Solange selbst Gleichstellungsinitiativen Frauen primär die „soften“ Themen zuschreiben, bekommen wir auch keinen Platz im Finanzausschuss.
Dieser Text könnte, zugegeben, endlos sein. Denn mein politisches Engagement hat auch einiges an Sexismus, Klassismus, elitärem Gehabe und Generationenkonflikten aufgeworfen. Als Frau (noch) unter 30 mit kleinen Kindern erlebe ich facettenreich, warum Politik noch so männlich ist.
Deshalb wird es in Zukunft hierfür eine eigene Kolumne geben. Außerdem arbeite ich an einem Einsteiger*innenguide: Wie geht Kommunalpolitik? Wo fang ich an und wie komm ich da rein? Bei ausreichendem Interesse werde ich den Guide als kleines Ebook oder als Kurs anbieten.
Solange versuche ich meinen eigenen Weg in all dem zu finden – und hoffe, dass ihr mich dabei unterstützt.
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Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.