Die Persona: Über Autorinnen im Netz
Es gibt da einen Artikel, einen Erlebnisbericht über den Female Future Force Day von Edition F, der gerade ziemlich polarisiert. Unter dem Originaltitel „Zwei Juden auf Koks auf dem Female Future Force Day“ zuerst auf ihrem Blog erschienen, durfte Ruth Herzberg den Text nun auch als „Wohoo – Feminismus tut weh“ beim Freitag veröffentlichen.
Der Bericht ist spitzzüngig, polemisch, derb – aber auch sehr unterhaltsam. Finde ich. Aber ich bin ja auch kein Fan mehr dieses Barbie-Feminismus, der von Berliner Start-Ups produziert wird. Wisst ihr ja spätestens seit meinem Artikel für Bianca.
Was mich nun aber zutiefst irritiert ist die Art, wie damit umgegangen wird. In einer Netzwerkgruppe bei Facebook, den Digital Media Women, wird der Artikel stark diskutiert. Finde ich ja großartig, keine Frage. Aber: Was ich weniger großartig finde, ist die Art und Weise, wie der Artikel diskutiert wird. Der Autorin wird nämlich allerhand unterstellt.
Frauenhass.
Ein Problem mit sich selbst.
Ein negatives Menschenbild.
Ein noch negativeres Weltbild.
Ein mieses Frauenbild.
Mangelnde Begabung.
Ich denke, die Liste lässt sich mit fast jedem Kommentar schier endlos fortsetzen. Eine Unterstellung tauchte allerdings immer wieder auf:
Die Autorin würde mit ihrem Bericht genug Persönliches über sich selbst preisgeben. Meint: Sie würde sich selbst als frauenhassend, verallgemeinernd, anti-alles und vulgär outen.
Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem ich mal ganz laut fragen will: Sag mal, geht’s noch?
Die Sache mit der öffentlichen Person
Als Autorin, die in das Internet schreibt, habe ich eine Erfahrung immer wieder machen müssen: Die Leute meinen, sie kennen dich. Während ich mich bislang nur privat damit herumärgern musste, dass ehemalige Freund*innen meinten, meine Instagramposts und Blogbeiträge wären eine akkurate Spiegelung meines Alltags, hat Bianca Jankovska bereits einmal öffentlich in ihrem Artikel „Edition Digital Boundaries: Über die Distanz zwischen dem wahren Ich und der öffentlichen Persona“ davon gesprochen.
Je mehr wir uns in diesem Internet bewegen, umso mehr scheint uns das Gefühl dafür abhanden zu kommen, dass Menschen, die wir online sehen, eben genau das sind: Menschen im Internet. Wir KENNEN diese Menschen nicht. Wir sehen nur das, was sie von sich selbst zeigen und preisgeben.
Das bedeutet auch: Wir lernen Menschen nur in dem Stil kennen, den sie für sich selbst wählen. Die Influencerin, die immer mit sanfter Stimme und einem stets geheimnisvollen Lächeln spricht. Die Autorin, die rotzig und ziemlich direkt ihre persönliche Wahrheit in die Tasten haut. Die Fotografin, die mit schwarz-weißen Bildern eine bestimmte Perspektive in die Welt bringt.
Der Clou: Nichts davon ist absolut. Ganz im Gegenteil. Manchmal, oft, ist all das auch gar nicht so real, wie es scheint. Die Influencerin ist eigentlich eine sehr zynische Gefährtin mit dunkelstem Kneipenhumor. Die Autorin hingegen reflektiert ständig und alles selbst und geht Diskussionen im wahren Leben eigentlich aus dem Weg. Die Fotografin liebt eigentlich helle und bunte Farben und steht am meisten auf grelles Pink.
Aber ist das dann nicht alles fake!?
Ja und Nein. Kunst schaffende Menschen wählen diese Dissonanz oft ganz bewusst. Je öffentlicher ihr tun wird, je populärer sie werden, umso bewusster. Sie erschaffen sich Personas – Abbilder ihrer Selbst, die explizit für die Außenwirkung gedacht sind und sich an einigen, vielen oder wenigen, Punkten von ihrer tatsächlichen Persönlichkeit unterscheiden.
Sie tun das, um sich zu schützen. Denn mit Kunst, ob in Wort, Schrift oder Bild jedweder Art, machen wir uns auch immer angreifbar. Kunst ist subjektiv und dort, wo sie nicht gefällt, kann sie auch gegen uns verwendet werden. Jede*r von euch, die bereits einen Shitstorm in einem Netzwerk (mit-)erlebt haben, weiß, wie übel das enden kann.
Gleichzeitig geht eine öffentliche Präsenz auch immer damit einher, dass Menschen glauben, die Person sei nahbar. Man könne Anspruch auf Kommunikation geltend machen. Nachrichten, Kommentare, Kontaktversuche müssten beantwortet werden. Es entsteht der Anspruch, wer auf Instagram, auf seinem Blog, in diesem Internet Dinge transportiert, müsse auch 24/7 ansprechbar sein.
Sich selbst also eine Persona zu erschaffen, eine ganz bestimmte Art zu wählen, wie wir uns online präsentieren, unsere Inhalte auf einen bestimmten Bereich und einige, bestimmte Stilmittel zu beschränken, ist ein Mechanismus, der uns einen Rückzugraum schafft. Wir können selbst entscheiden, wie nackig wir uns selbst vor der Welt machen – oder ob wir der Welt nur diese Kunstfigur zeigen, die den digitalen Hass, aber auch die vielen Nachrichten, die Anfragen und das Getöse drumherum, im Zweifel durch das Ausschalten des Smartphones stumm schalten kann.
Auch mir wurde vorgeworfen, ich sei dann ja nicht ehrlich. Wenn ich Dinge so pointiert auf den Punkt bringe, dafür überzeichne oder umschreibe, um einen gewissen Effekt zu erzielen, sei das nicht authentisch. Der Clou ist: Natürlich ist es das. Ich spreche ja von realen Dingen, Gefühlen, Situationen. Es ist nur nicht zu 100% umfassend mein gesamtes Leben.
Bei mir sei immer alles nur so negativ und so schwer. Ich würde ja nur über Probleme sprechen und wenn man sich meine Postings so anschaue, scheint mein Familienleben ja gar nicht so glücklich zu sein.
Tatsächlich ist es das. Sehr. Ich muss das nur nicht allen vorführen – mein Leben gehört nämlich mir.
Dinge für die eigene Onlinepräsenz auszusparen sagt genauso wenig über mich wie das gewählte Stilmittel direkt mein Innenleben darlegt. Ich kann permanent den Finger in die Wunde legen, kann aus einem Gedanken eine ganze Erzählung mit Aufklärungswillen stricken – und muss dennoch nicht nur mit hängendem Kopf durch die Weltgeschichte laufen.
Sich diese Persona zu erschaffen kann natürlich auch geschehen, um einen bestimmten Zweck zu verfolgen. Jemand, die politische Aufklärungsarbeit machen will, wird sich wohl weniger oft mit der Rührschüssel in der Hand präsentieren als eine Backbloggerin. Aber ist das denn so schlimm?
Selbst wenn ein Beitrag, so wie er erscheint, tatsächlich auch der Art und Weise der Autorin entspricht, sich zu äußern, gibt es noch längst niemandem das Recht zu einem küchenpsychologischen Urteil.
Der Umkehrschluss
Das bedeutet allerdings auch: Das, was ich online von mir zeige, muss nicht deckungsgleich mit dem sein, was ich präsentiere. Ich kann einen reißerischen, spitzzüngigen Bericht über ein Event schreiben, in dem ich an niemandem ein gutes Haar lasse – und Frauen dennoch toll finden.
Ich kann mich über Marketingfeminismus, über pinke Plakate, über pinteresque Wohnzimmer und die Perversion von Netzwerken echauffieren – ohne ein völlig negatives Menschenbild zu haben.
Ich kann so richtig schön über ein Event herziehen und dieses satirisch zerreißen, um ein tatsächliches Problem bissig auf den Punkt zu bringen. Das sagt noch lange nicht über mich aus, dass ich ein frauenverachtender, von Grund auf negativer und destruktiver Mensch sei.
Ich kann mich vulgär und beleidigend äußern, ohne es zu sein.
Vielleicht sagt es einfach nur über mich, dass ich Satire beherrsche – oder eben zumindest weiß, wie ich die größtmögliche Aufmerksamkeit erziele.
Was einfach nicht geht, ist die ständige Anspruchshaltung an Autorinnen, dass sie sich in ihren Werken ja immer komplett selbst offenbaren müssten. Tun sie nicht und das ist auch gut so.
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Celsy ist Autorin, Möglichmacherin und Gründerin von Eine fixe Idee. In Büchern, Texten, Podcasts, Mentorings und Workshops hilft sie Menschen dabei, selbstwirksam in eine sozialpolitisch gerechte Zukunft zu schauen. Immer dabei: Ein Kaffee mit ganz viel Milchschaum.